Äußerungsbedeutung

Auch: → Sprecherbedeutung. In Linguistik und → Sprechakttheorie die Bedeutung eines tatsächlich geäußerten Ausdrucks oder Satzes bzw. eines Äußerungsexemplars im Rahmen eines Verwendungskontextes oder Situationszusammenhangs (→ parole); das von einem Sprecher mit einer Äußerung in einem bestimmten Gebrauchszusammenhang tatsächlich Intendierte oder Gemeinte (→ Sprechakt, → illokutionärer Akt, → tatsächliche Illokution), der kommunikative → Sinn (6) des Gesagten (vgl. Wunderlich 1991, 33). So weicht etwa eine Ä. mit ironischen oder metaphorischen Komponenten von der wörtlichen Bedeutung (→ Satzbedeutung) ab. Dasselbe gilt für die Bedeutung indirekter Sprechakte wie Es zieht! (→ indirekter Sprechakt) und für Bedeutungen, die durch konversationelle → Implikatur entstehen wie Hat B eine Freundin? – Er telefoniert ziemlich oft; diese sind nicht Informationen, die sich allein aus der grammatischen und lexikalischen Struktur von Sätzen ergeben, sondern im → Kontext erschlossene Inhalte von Äußerungen.

Nach J.J. Katz (1977) weicht die Ä. eines aktualisierten Äußerungsexemplars um so mehr von der wörtlichen Bedeutung ab, je stärker der (pragmatische) Kontexteinfluss ist. Gegenüber der Auffassung, dass es für einen Satz unabhängig von einem Kontext (gewissermaßen im neutralen oder Null-Kontext) eine wörtliche Bedeutung geben könne, vertritt J.R. Searle (1998) die These von der Relativität wörtlicher Bedeutung in der Weise, dass sich der Begriff der wörtlichen Bedeutung einer Äußerung in vielen Fällen nur relativ zu bestimmten Hintergrundannahmen aus dem Bereich des Wissens über die Welt anwenden lasse (→ Topos). Dabei zeige sich, dass sich diese Annahmen nicht als Teile der Ä. bzw. ihrer semantischen Struktur und auch nicht als Voraussetzungen für den Gebrauch des Satzes in Standardszenen angeben lassen, d.h. dass die Bedeutung eng zusammenhängt mit den → Wahrheitsbedingungen, Folgerungen, dem Widerspruch sowie dem Verstehen und nur relativ zu einem Koordinatensystem von Hintergrundannahmen bestimmt werden kann. Und diese Kontextabhängigkeit der wörtlichen Bedeutung lässt sich nicht beseitigen, weil sie Formen der → Intentionalität inhärent ist, von denen die wörtliche Bedeutung abhängt. Die These von der Relativität der wörtlichen Bedeutung sei nicht durch die Unterscheidung Satz : Äußerung, → Type : → Token, → Kompetenz : → Performanz zu widerlegen. Der Sprecher kann seine sprachliche Kompetenz nur vor dem Hintergrund seines Wissens von der Welt anwenden.

Nach M. Bierwisch (1979) ist, damit ein Äußerungsexemplar Bedeutung hat, eine kommunikative Absicht nicht notwendig, auch lasse sich dessen wörtliche Bedeutung nicht aus dem kommunikativen → Sinn (6) der Äußerung erschließen. Ein Äußerungsexemplar kann eine wörtliche oder eine von dieser abweichende Bedeutung haben. Die Ä. wird determiniert durch die sprachliche Bedeutung und den Aktualisierungskontext, der dem Sprecher als Alltagskenntnis im Sinne einer intern repräsentierten Kenntnis- oder Wissensstruktur gegeben ist, d.h. dass Äußerungsbedeutungen durch das Zusammenspiel vieler Faktoren im Rahmen des konkreten gesellschaftlichen Lebens entstehen. Nach H.P. Grice (1975) muss man zum Verstehen einer Ä. den nonverbalen Kontext berücksichtigen und Erklärungsprinzipien aus einer Alltagstheorie des rationalen Handelns zu Hilfe nehmen. Die Interpretation bzw. das Verstehen einer Äußerung besteht im Erkennen ihres semantischen Inhalts und ihrer illokutiven Indikatoren, im Erkennen des Handlungszusammenhangs und der interaktionalen Rolle der Handlung (vgl. Bartsch 1979). St.C. Levinson (2000, 20ff.) nennt als Komponenten der Ä. Wahrheitsbedingungen oder Implikationen, konventionelle Implikaturen, Präsuppositionen(→ Präsupposition), Gelingensbedingungen, konversationelle Implikaturen und Inferenzen aufgrund der Konversations- bzw. Gesprächsstruktur.

→ Kontext, → Kontexttheorie der Bedeutung, → Pragmatik, → Gemeintes

Lit.: Bartsch, R., Die Rolle von pragmatischen Korrektheitsbedingungen bei der Interpretation von Äußerungen. In: Grewendorf, G. (Hrsg.), Sprechakttheorie und Semantik. 1979, 217-243. Bierwisch, M., Wörtliche Bedeutung – eine pragmatische Gretchenfrage. In: Grewendorf, G. (Hrsg.), Sprechakttheorie und Semantik. 1979, 119-148. Grice, H. P., Logic and conversation. In: Cole, P./Morgan, L. (eds.), Syntax and Semantics. Vol. 3. 1975, 41-58. Ders., Utterer's meaning, sentence meaning and word-meaning. In: Foundations of Language 4.1968, 225-242. Katz, J.J., Propositional Structure and Illocutionary Force. 1977. Levinson, St. C., Pragmatik. 32000. Searle, J.R., Literal meaning. In: Ders., Expression and Meaning. Studies in the Theory of Speech Acts. 1979, 117-136. Dt. Wörtliche Bedeutung. In: Ders., Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie. 1998, 139-159. Wunderlich, D., Skizze zu einer integrierten Theorie der grammatischen und pragmatischen Bedeutung. In: Ders., Studien zur Sprechakttheorie. 1976. Ders., Bedeutung und Gebrauch. In: In: Stechow, A. von/Wunderlich, D. (Hrsg.), Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 1991, 32-52. Lutzeier, P.R., Linguistische Semantik. 1985. L/AB

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