Antimentalismus

Positivistisch-materialistische Denkweise bzw. Strömung in der Sprachwissenschaft, die gegen mentalistische ( Mentalismus), die genetische Präformiertheit kognitiver sowie sprachlicher Strukturen ( angeborene Ideen) voraussetzender Ansätze gerichtet ist. Der Ausdruck A. etikettiert mit abwertender Konnotation das von L. Bloomfield (1933) in die amerikanische Sprachwissenschaft eingeführte mechanisch-materialistische methodologische Postulat des Behaviorismus. Bloomfield gelangte zur Ablehnung jeglicher Psychologie und Sprachtheorie, die Sprechakten ( Sprechakt) mentale Prozesse, also Gedanken, Vorstellungen, Willensakte usw. zugrunde legt und Sprache als Ausdruck von Ideen und Gefühlen betrachtet. Diese Auffassung führt notwendig zur Leugnung jeder Art von Bewusstsein und zur Annahme durchgehender Kausalität, da geistig-seelische Vorgänge mechanistisch erklärt werden. Die Begriffe Vorstellung, Gefühl, Geist erscheinen so als vorwissenschaftlich-umgangssprachliche Termini für unterschiedliche körperliche Vorgänge, die sich nach dem Stimulus-Response-Modell erklären lassen, sodass subjektive Introspektion überflüssig wird. Aus antimentalistischen Blickwinkel wies L. Bloomfield (1933, 17) H. Pauls Ansatz einer „psychologischen“ Interpretation sprachlicher Phänomene und ihres Wandels mit dem Hinweis zurück, dass nicht mentale, sondern nur sprachliche Prozesse gegeben seien. Wie seine Zeitgenossen habe Paul nur die flektierenden indo-europäischen Sprachen gekannt und deren Strukturen fälschlich für universal gehalten und für fundamentale Sprachmerkmale lediglich „philosophical and psychological pseudo-explanations“ gefunden.

Der A. hat zur Ausarbeitung exakter Methoden im Deskriptivismus, Distributionalismus und taxonomischen Strukturalismus geführt. Die Probleme und Grenzen solch einseitiger Beschränkung hat N. Chomsky (1965) aufgezeigt. Die von Bloomfields konstruierte Dichotomie zwischen Behaviorismus und Mentalismus ablehnend, bestimmte er „mentalistische Linguistik“ als theoretische Linguistik, die u.a. auch Daten aus der Introspektion benutzt, um die Kompetenz zu erfassen; introspektive Urteile außer acht zu lassen, hieß das Studium der Sprache „zu äußerster Sterilität zu verdammen“ (dt. 1969, 242); in den antimentalistischen Postulaten bekunde sich operationalistische Theoriefeindlichkeit. Zum von Chomsky behaupteten angeblichen A. Wittgensteins vgl. Grewendorf (1986, 91ff.).

Operationalismus, taxonomischer Strukturalismus, Universalien

Lit.: Bloomfield, L., Language. 1933. Chomsky, N., A review of B. F. Skinner's Verbal behavior. In: Lg. 35.1, 1959; abgedr. in: Fodor, J.A. /Katz, J.J. (Hrsg.), The Structure of Language. 1964. Ders., Aspects of the Theory of Syntax. 1965; dt. Aspekte der Syntax-Theorie. 1969. Grewendorf, G., Sprache als Organ und Sprache als Lebensform.Zu Chomskys Wittgenstein-Kritik. In: Burkhardt, A./Birnbacher, D. (Hrsg.), Sprachspiel und Methode. Zum Stand der Wittgenstein-Diskussion. 1985, 89- 129. Ivic, M., Wege der Sprachwissenschaft. 1971. Paul, H., Prinzipien der Sprachgeschichte. (1880) 101995. L/AB

Letzte Änderung: 17.01.2024 - Ansprechpartner: Webmaster