apperzeptive Ergänzung

Bei Bühler (1934, 28) Information, die einer Zeichengestalt gedanklich hinzuzufügen ist, um sie adäquat interpretieren bzw. identifizieren zu können, und im Organon-Modell (→ Bühlersches Organon-Modell) dadurch symbolisisiert wird, dass die drei Ecken des als Dreieck dargestellten Zeichens (d.h. der Ausdrucksseite, → Signifkant) über den gestrichelten Kreis hinausragen, der das „konkrete Schallphänomen“ bedeutet. Die Zeichenidentifikation ist demnach „als Ergebnis eines Interpretationsprozesses aufzufassen, der durch das jeweilige Wahrnehmungsdatum unterdeterminiert ist“ (Liedtke 2007, 76). Um ein → Zeichen (auf der Ebene der → Parole, d.h. ein → Token) zu identifizieren, muss nämlich einerseits angesichts der Vielfalt seiner tatsächlichen lautlichen Merkmale von denjenigen abstrahiert werden, die für seine Identifikation nicht relevant sind (→ abstraktive Relevanz). Andererseits sind bei der Zeichenrezeption zugleich nicht mitrealisierte Informationen „apperzeptiv“ hinzuzudenken: So ist bei Lautangleichungen (→ Assimilation) oder akustischen Störungen in der gesprochenen Sprache das Wahrgenommene apperzeptiv so aufzudatieren, dass es einem → Phonem bzw. einer kodifizierten Lautkette (→ Morphem) der jeweiligen Einzelsprache zugeordnet werden kann. Analoges gilt für geschriebene Zeichen. Auch Ellipsen (→ Ellipse) lassen sich mit Hilfe des Prinzips der apperzeptiven Ergänzung erklären (vgl. Corr 2010, 96f.). Zumindest bei ikonischen Zeichen (→ Ikon) lässt sich der Begriff der apperzeptiven Ergänzung auch auf Zeichentypen (→ Type) anwenden: Beim Hinweiszeichen „Kinder“ im Straßenverkehr etwa muss stets hinzugedacht werden, dass es die Fahrbahn ist, die die beiden auf dem Schild abgebildeten Schulkinder überqueren.

Lit.: Bühler, K., Sprachtheorie. 1934. Corr, A., Fragmente zwischen Störung und Anschlussfähigkeit: Theoretische Untersuchungen zur Ellipse als Absenzphänomen. In: Grutschus, A./Krilles, P. (Hrsg.), Figuren der Absenz. Figures de l’absence. 2010, 87-101. Liedtke, F., Wie wir Fragmentarisches verstehen. In: Hermanns, F./Holly, W. (Hrsg.), Linguistische Hermeneutik. Theorie und Praxis des Verstehens und Interpretierens. 2007, 59-99. AB

Letzte Änderung: 17.01.2024 - Ansprechpartner: Webmaster