Behaviorismus

Forschungsrichtung der Psychologie, die Anfang des 20. Jhs. in den USA entstand und sich auf den Pragmatismus, den Positivismus und die Arbeiten I.P. Pavlovs über das erste und zweite Signalsystem stützt. Der B. lässt als einzig objektive Methode die Beobachtung des Verhaltens von Lebewesen zu, d.h. Kategorien wie Bewusstsein, Wille, Empfindung, Aufmerksamkeit usw. werden als ,mentalistisch‘ (Mentalismus) aus der Forschung ausgeschlossen.

Schon Augustinus (vgl. Enarrationes in psalmos 41,13) scheint es unmöglich, in die Gedanken eines anderen Menschen einzudringen, aber Menschen können im Gespräch gehört werden. Nach dem Vorbild der Naturwissenschaften werden durch den B. nachprüfbare Grundkategorien (Reiz, Reaktion, Verstärkung/Bekräftigung) eingeführt, mit deren Hilfe das Verhalten lebender Organismen zu beschreiben ist. Die von einem Organismus durchlebten Reiz-Reaktions-Vorgänge erscheinen als Lernen, und auch der Sprachgebrauch ist in diesem Sinne als Reiz-Reaktions-Verhalten aufzufassen. In späteren (neobehavioristischen) Modellen werden hypothetische Konstruktionen mit „intervenierenden Variablen“ zugelassen; vermittelnde Stimulus-Response-Einheiten sollen Verhaltensketten erklären (vgl. Hull 1930; Tolman 1932; Osgood 1953).

J.B. Watson (1924) gilt als Begründer des B. Sein monistischer Materialismus ( Antimentalismus) ist durch den Funktionalismus von W. James (1842-1910) in der Vermittlung J. Deweys (1859-1952) geprägt. Die weitere Entwicklung des B. ist durch den logischen Positivismus des Wiener Kreises und den physikalischen Operationalismus Bridgmans beeinflusst.

Tiefgehenden und fortwirkenden Einfluss übt der B. auf die amerikanische Sprachwissenschaft seit L. Bloomfield (zuerst 1933) aus, der nach seiner Abkehr von der Psychologie W. Wundts einen konsequenten Antimentalismus vertrat (vgl. dazu das Beispiel der hungrigen Jill, die in einem Baum einen Apfel sieht und Jack durch eine sprachliche Äußerung dazu bringt, ihr den Apfel zu pflücken; vgl. 1984, 22ff.). Wegweisend wurde Bloomfields These, dass die Bedeutung einer Äußerung in den Gegenständen und praktischen Vorgängen enthalten sei, die mit der Äußerung verbunden sind. Bloomfield macht also einen Unterschied zwischen der Sprache als Untersuchungsgegenstand ( langue) und den realen Ereignissen, also den Reiz-Reaktions-Ketten, die, als bedeutungshaltige, nicht Studienobjekt der Linguisten sein können (zu behavioristischen Ansätzen in der Semantik vgl. Lyons 180, 133ff.). Der Zeichentheoretiker Ch.W. Morris (1975; zuerst 1938) bestimmte den Interpretanten ( Interpretant) eines Zeichens als Verhalten bzw. als Verhaltensdisposition, später (1981) als Familie von Verhaltensdispositionen. Und auch für B.F. Skinner (1957) gibt es nur Sprachverhalten, das für ihn eine spezielle Form des menschlichen Verhaltens ist. So wird eine Sprechepisode als Summe der Verhaltensweisen der an ihr beteiligten Personen aufgefasst. Ein Sprecher äußert keine Ideen/Gedanken/Vorstellungen, sondern nur Wörter. Sprache wird letztlich unter dem Aspekt des Lernens gesehen, wobei Sprachverhalten als durch Verstärkung (reinforcement) gelenktes Verhalten aufzufassen ist.

Die behavioristische Einstellung zu Fragen der sprachlichen Bedeutung als Auswirkung der apriorischen These, dass alle Aussagen über Seelisches und Geistiges in Aussagen über Verhalten übersetzbar seien, hat zu langanhaltender Vernachlässigung der Semantik geführt, die sich bis zur Frühphase der generativen Transformationsgrammatik ( generative Transformationsgrammatik) beobachten lässt (z.B. Chomsky 1957). Auch in bestimmten Ansätzen zu einer linguistischen Pragmatik gibt es Einflüsse des B. in der Weise, dass sprachliche Äußerungen als sprachliches Handeln durch Faktoren der Situation vollständig determiniert erscheinen (auch Situativität sprachlichen Handelns).

N. Chomsky (1959) hat in seiner Kritik an B.F. Skinner nachgewiesen, dass zu jeder Response ein Stimulus erst erfunden werden muss und dass der Begriff des „reinforcement“ unzulässig von der Lerntheorie des B. auf sprachliches Verhalten übertragen und ausgeweitet wurde. Das methodologische Postulat, Kategorien wie Bewusstsein, mentale Prozesse usw. nicht zuzulassen, aber auch die Hoffnung, Bedeutung könne durch die Untersuchung des Sprecher-Hörer-Verhaltens, also durch den zu beobachtenden Sprachgebrauch erschlossen werden, kann deshalb nicht zum Ziel führen, weil Verhaltensbegriffe zur Erfassung bewusstseinskonstituierter Kategorien nicht ausreichen. Zwischen Stimulus und Response wird man so etwas wie Sinn und Vernunft annehmen müssen (vgl. Miller u.a. 1960). Nach J.J. Katz (1970, 93) vernachlässigen behavioristisch orientierte Untersuchungen sprachlicher Kommunikation deren wesentlichen Aspekt: „die Kongruenz der aus solchem verbalen Austausch resultierenden Gedanken und Ideen [...]“.

K.-O. Apel (1973) weist darauf hin, dass der B. bei Ch.W. Morris zwar mentale Phänomene nicht leugnet, aber methodisch von deren Verständnis keinen Gebrauch mache. Morris suggeriere als philosophisch gebildeter und toleranter Behaviorist Lösungen, die mit seiner Methode gar nicht möglich sind. Auf der Grundlage des methodischen B. lasse sich das Problem des Verstehens von Intentionen und Bedeutungen nicht lösen. Man dürfe sich nicht davon abhalten lassen, die wirkliche Leistungsfähigkeit des methodischen B. kritisch zu rekonstruieren.

Zwischen psychologischem, logischem und methodischem B. unterscheidet G. Seebaß (1981). Das methodologische Prinzip des B. besitzt bis heute in weiten Bereichen der Psychologie seinen Stellenwert (vgl. Sämmer 1999, Kap. 6).

Mediation, Mediationstheorie

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Letzte Änderung: 17.01.2024 - Ansprechpartner: Webmaster