Gräzismus

20.03.2018 -  

[engl. Grecism/Graecism, frz. grécisme/hellénisme, russ. грецизм] (lat. graecus ‘griechisch’)

Besonders ins Lateinische, aber auch in andere Sprachen überwiegend aus dem Altgriechischen als Entlehnung „übernommene sprachliche wendung, ausdrucks- oder bildungsweise“ (Grimm 1958, Sp. 2254).


1) Der Einfluss des Griechischen auf das Lateinische lässt sich hauptsächlich auf lexikalischer Ebene und bei den Mustern der Wortbildung nachweisen (vgl. Seele 1995, 24-40), bspw. στάδιον stádion > stadium, είδωλον eídolon > idolon/idolum (mit morphologischer Anpassung), αρα aúra > aura (ohne morphologische Anpassung). Ins Lateinische übernommene Wörter werden in der Regel den bestehenden Deklinationen zugeordnet (vgl. Rubenbauer/Hofmann 1995, § 45), nur selten, vor allem im dichterischen und nachklassischen Gebrauch, bleiben besonders im Akkusativ die griechischen Deklinationsendungen erhalten, bspw. aër > aëra (gr. Akk.) neben aërem (lat. Akk.) oder aether > aethera (gr. Akk.).
Auf der Ebene der Wortbildung treten vermehrt dem Griechischen nachempfundene Komposita in Erscheinung: Wurde das griechische Adjektiv νέφελς (‘wolkenlos’) vom römischen Sprachpatrioten Cicero der lateinischen Gewohnheit entsprechend mit sine nubibus übersetzt, bildet Lukrez in Analogie zum Griechischen innubilus (vgl. Seele 1995, 27).
Daneben zeigen sich gerade in der nachklassischen Zeit auch Einflüsse auf anderen Sprachebenen. So findet sich beispielsweise im System der funktionalen Kasus des Lateinischen neben dem ablativus limitationis/respectus ( Ablativ) der sog. accusativus graecus (Akkusativ der Beziehung) (vgl. Rubenbauer/Hofmann 1995, § 116b).


2) Neben dem Lateinischen als primärer Empfängersprache weisen auch andere Sprachen, hier das Deutsche, griechische Elemente auf, wobei sich der Einfluss in der Regel auf die lexikalische Ebene beschränkt, nur selten sind Einflüsse auf anderen Ebenen des nachweisbar (vgl. Alexiadis 2008, 19).
Man unterscheidet zwischen Gräzismen, die durch Vermittlung des Lateinischen, Gotischen ( Gotisch) oder Französischen in die Empfänger-/Zielsprache gelangt sind, und direkt aus dem Griechischen entlehntem Wortgut; dieser direkte Einfluss lässt sich mit Sicherheit für die Zeit des Humanismus annehmen (vgl. Mikkola 1983, 91f.), werden doch in dieser Zeit sogar Namen ins Griechische (und auch Lateinische) übertragen, vgl. Philipp Schwartzerdt > Philipp Melanchthon (aus gr. μέλας ‘schwarz, dunkel’ und χθών ‘Erdboden’).
Beispiele für Entlehnungen aus dem Griechischen sind u.a.:
Erzbischof (ρχιεπίσκοπος): Zusammensetzung aus archi- (‘Ober’) und episkopos (‘Aufseher’); vgl. auch engl. arch-bishop
Archiv (ρχείον): aus archeion (‘Amtsgebäude’) über lat. archivum (mit Bedeutungsverengung: ‘Aufbewahrungsort für amtliche Dokumente’).


3) Neben den altgriechischen Entlehnungen existieren auch wenige aus dem Neugriechischen, beispielsweise Ouzo, Feta, Tzatziki. Ebenfalls aus dem Neugriechischen stammt der G. Gyros aus ngr. γύρος (‘Umdrehung’) (vgl. Duden 2007, 736).

Entlehnung, Fremdwort, Lehnwort, Sprachkontakt

Lit.: Alexiadis, G., Zwischensprachliche Interferenzerscheinungen innerhalb der kontrastiven Linguistik und der Neurolinguistik am Beispiel Deutsch-Neugriechisch. 2008. bes. 19-32. Online abrufbar: https://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/files/1370/Alexiadis_Dissertation.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Coseriu, E., Das Problem des griechischen Einflusses auf das Vulgärlatein. In: Sprache und Geschichte. Festschrift für Harri Meier zum 65. Geburtstag. 1972, 135-147. Online abrufbar: http://www.romling.uni-tuebingen.de/coseriu/publi/coseriu72.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Duden, Deutsches Universalwörterbuch. 62007. Eisenberg, P., Das Fremdwort im Deutschen. 2011, 71-76. Grimm, J. u. W., Deutsches Wörterbuch. Bd. 8. 1958. Holzberg, N., Griechisch/Deutsch. In: Besch, W./Betten, A./Reichmann, O./Sonderegger, St. (Hrsg.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihre Erforschung. 4. Teilbd. 2., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. 2004, 3183-3192. Körner, H., Zur Entwicklung des deutschen (Lehn)Wortschatzes. In: Glottometrics 7.2004, 25-49. Online abrufbar: http://www.ram-verlag.eu/wp-content/uploads/2017/02/g7zeit-1.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Kussl, R., Wir sprechen alle Griechisch. In: Ders. (Hrsg.), Lateinische Lektüre in der Mittelstufe. 2008, 249-258 (= DIALOGSchule und Wissenschaft Bd. 42). Online abrufbar: https://www.km.bayern.de/download/4567_kussl_wir_sprechen_alle_griechisch.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Kytzler, B./Redemund, L./Eberl, N., Unser tägliches Griechisch. Lexikon des griechischen Spracherbes. 2007. Lühr, R., Der Einfluß der klassischen Sprachen auf die germanische Grammatik. In: Sprachkontakt und Sprachwandel. Akten der XI. Fachtagung der Indogermanischen Gesellschaft. 2005, 341362. Online abrufbar: http://dwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck119.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Dies.: Zur Deklination griech. und lat. Wörter in Wulfilas got. Bibelübersetzung. In: Münchener Studien zur Sprachwissenschaft 46.1985, 139-155. Online abrufbar: http://dwee.eu/Rosemarie_Luehr/userfiles/downloads/Sonderdruck14.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Mikkola, E., Das Griechische in der Westeuropäischen Kultur-Geschichte. In: studies in classical and modern philology. 1983, 85-100. Rubenbauer, H./Hofmann, J.B., Lateinische Grammatik. Neu bearb. von R. Heine. 1995. Schubert, S., Griechische Lehnwörter im Lateinischen des ersten Jahrhunderts v. Chr. Eine exemplarische Untersuchung der philosophischen Schriften Marcus Tullius Ciceros. 2011. Online abrufbar: https://www.telemachos.hu-berlin.de/linguistik/schubert.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Seele, A., Römische Übersetzer. Nöte, Freiheiten, Absichten. Verfahren des literarischen Übersetzens in der griechisch-römischen Antike. 1995, 25-53. Vondruška, M., Untersuchungen zu Latinismen und Gräzismen in ausgewählten deutschsprachigen Zeitungen. Masterarbeit. 2016. Online abrufbar: https://theses.cz/id/r1p5nt/MDP_Vondruska.pdf [letzter Zugriff: 27.02.2018]. Wolff, F./Wittstock, O./Kanczor, Joh., Latein und Griechisch im deutschen Wortschatz. 2001. SM

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