Optativ

Morphologisch markierte Teilkategorie des Modus bzw. Funktion des Konjunktivs zum Ausdruck eines Wunsches. Noch das Altgriechische unterscheidet (wie das Indogermanische; → Indogermanisch) den sog. kupitiven O. zum Ausdruck eines als erfüllbar gedachten Wunsches und den potentialen O., der „eine der Gegenwart (auch Zukunft) angehörige oder zeitstufenlose Aussage als bloß möglich“ (Bornemann/Risch 1973, § 228.3) kennzeichnet. Die Wahl des Tempus erfolgt in beiden Fällen im Hinblick auf den → Aspekt. Wie das vedische Altindisch, aber auch das Alt- und Neugriechische vermuten lassen, unterschied man ursprünglich zwischen dem O. (als Modus des Wunsches, der Möglichkeit und der Unwirklichkeit) und dem → Konjunktiv (als Modus des festen Wunsches und der Absicht) (vgl. Euler 2009, 182). In den germanischen Einzelsprachen ging der O. im Konjunktiv auf; so finden sich im Präsenssystem drei Modi (→ Indikativ, O., → Imperativ), im Präteritalsystem zwei (Indikativ, O.). Der präteritale O. gilt sowohl formal als auch funktional als germanische Neuschöpfung. Bereits im Protogermanischen lässt nur noch er sich als Modus der Nichtwirklichkeit nachweisen (vgl. ebd., 182f).

Sprachgeschichtlich gesehen basieren die Formen des lat. Konjunktivs größtenteils auf dem O.; zugleich entspricht dieser einer Funktion des lat. Konjunktivs, wobei sowohl hinsichtlich der Zeitstufe als auch der Erfüllbarkeit des Wunsches eine Unterscheidung vorgenommen wird: Erfüllbare oder aber als erfüllbar gedachte Wünsche stehen im Konjunktiv Präsens (Gegenwart) oder Perfekt (Vergangenheit), als unerfüllbare oder als unerfüllbar Gedachte im Konjunktiv Imperfekt (Gegenwart) oder Plusquamperfekt (Vergangenheit). (Vgl. Rubenbauer/Hofmann 1995, § 215)

Ein O. existiert im Deutschen nicht; zum Teil hat der Konjunktiv seine Funktion übernommen. So ist die Verwendung des Konjunktivs I zum Ausdruck eines Wunsches zwar prinzipiell möglich, dabei jedoch beschränkt auf die 3. Person Plural und größtenteils auf das Verb sein sowie die Modalverben mögen, wollen, sollen, während Vollverben nur selten in dieser Funktion vorkommen und regelmäßig nur noch in mathematischen Fachtexten, Anleitungen und Rezepten sowie festen Redewendungen und (Sprach-)Formeln zu finden sind:

Gott sei Dank! - Er möge in Frieden ruhen! - Hoch lebe die Königin!

Oft wird der O. durch sollen + Infinitiv umschrieben (vgl. Duden-Grammatik 2006, § 779). Das Verb steht hier in der Regel an zweiter Stelle, man spricht daher auch von Verbzweit-Wunschsatz (vgl. ebd., § 1403).

Lit.: Bornemann, E./Risch, E., Griechische Grammatik. 1973. Brugmann, K., Kurze vergleichende Grammatik der Indogermanischen Sprachen. 1904. Duden. Die Grammatik. 2006. Euler, W., Sprache und Herkunft der Germanen. Abriss des Protogermanischen vor der ersten Lautverschiebung. 2009. Rubenbauer, H./Hofmann, J.B., Lateinische Grammatik. 12. korr. Aufl. 1995. SM

Letzte Änderung: 17.01.2024 - Ansprechpartner: Webmaster