Argumentation
Spezifische Form sprachlicher Kommunikation zur rationalen Bewältigung einer Problemlage, z.B. die Rechtfertigung einer Behauptung. Unter den Bedingungen des konstruktiven Streitens und des kritischen Diskutierens kann die Wahrheit oder Richtigkeit einer Äußerung von den Kommunikationspartnern angezweifelt werden, so dass konsensstiftende Argumente (→ Argument (1)) eingesetzt werden müssen, um die → Behauptung zu begründen oder eine Entscheidung zu rechtfertigen. Wesentliche Bestandteile der A. sind die These, d.h. eine strittige Behauptung, Argumente, die die These stützen oder widerlegen, und die Schlussregel, die einen inhaltlich sinnvollen Zusammenhang zwischen der These und den Argumenten herstellt und dadurch erst eine Schlussfolgerung bzw. Begründung ermöglicht.
(Abb.1: Basisschema der Argumentation nach Kienpointner 1992, 75)
Aus der Wahrheit der Prämissen, wie sie in der Schlussregel und dem Argument gegeben sind, folgt notwendigerweise die Richtigkeit der These (Konklusion). Mit dem von Toulmin (zuerst 1958) in Anlehnung an das juristische Rechtfertigungsverfahren entwickelten Argumentationsschema, wird die Argumentationstheorie inzwischen auch in der pragmatisch orientierten → Rhetorik, → Textlinguistik und → Gesprächsanalyse diskutiert. Toulmins Modell (s. Abb.2) beruht auf folgender Struktur der A.: Die Grundregel jeder A. ist das Aufstellen einer Behauptung (conclusion). Damit legt der Sprecher einen Geltungsanspruch für seine Äußerung fest, der vom Hörer, dem Opponenten, bestritten werden kann und deshalb vom Sprecher begründet werden muss: Hans wird im Skispringen eine Medaille holen, denn er hat fleißig trainiert. Die Behauptung Hans wird einen Medaille gewinnen ist eine Schlussfolgerung, die durch das tatsächliche Argument (datum) Hans hat fleißig trainiert begründet wird. Erst die Schlussregel (warrant) ermöglicht den Zusammenhang zwischen Argument und These. Schlussregeln sind allgemein gehalten, gelten für alle Argumentationen eines Typs, z.B. Wer gut trainiert, hat gute Chancen.In der Regel handelt es sich um Topoi (→ Topos). Die Schlussregeln können deshalb auch für die Gesprächspartner implizit vorausgesetzt werden. Wenn nun aber das vorgebrachte Argument nicht hinreichend überzeugt, müssen unter Beibehaltung der Schlussregel weitere Argumente eingebracht werden: Hans hat in diesem Jahr alle wichtigen Wettbewerbe gewonnen, er verfügt über wissenschaftlich weiter entwickeltes und erprobtes Material, (Schlussregel: Wer bisher alle Wettbewerbe gewonnen hat; wer bestes Material nutzen kann, hat gut Chancen).Sollte nun allerdings die Schlussregel selbst angezweifelt werden, könnte der Sprecher die Einwände abwehren und die Schlussregel z.B. durch Normen, Regeln, allgemeine Tatsachen, Erfahrungen etc. stützen: Statistiken belegen seine hohen Chancen. Toulmin betont, dass der Grad des Geltungsanspruchs einer Behauptung auch noch durch Modaloperatoren (qualifier) und Ausnahmenbedingungen (rebuttal) modifiziert werden kann. Die Schlussfolgerung, eine Medaille zu gewinnen, kann z.B. eingeschränkt werden durch das → Modalwort bzw. → Satzadverb wahrscheinlich. Formuliert der Sprecher Ausnahmebedingungen, z.B. wenn für alle Sportler gleiche Bedingungen gelten nimmt er den Anspruch seiner Behauptung zurück. Das Argumentationsschema kann folgendermaßen veranschaulicht werden:
(Abb. 2: Argumentationsschema nach Toulmin 1958; dt.1996)
Neben der rhetorischen A. in der Alltagssprache ist der in der Scholastik entworfene, aber letztlich aristotelische → Syllogismus, die „Urform“ analytischer A., zu nennen. Hier folgt aus unstrittigen Prämissen Alle Menschen sind sterblich und Sokrates ist ein Mensch zwingend die unstrittige Konklusion Also ist Sokrates sterblich. Derartige analytische Schlüsse sind v.a. Gegenstand der Logik.
Lit.: Bayer, K., Argument und Argumentation. Logische Grundlagen der Argumentationsanalyse. 2007. Herrmann, M./Hoppmann, M./Stölzgen, K./Taraman, J., Schlüsselkompetenz. Argumentation. 2012. Kienpointner, M., Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern. 1992. Klein, J., Konklusive Sprechhandlungen. 1987. Kopperschmidt, J., Argumentation. 1980. Ders./Schanze, H., Argumente – Argumentation. 1985. Perelman, Ch., Logik und Argumentation. 1979. Toulmin, St., The Uses of Argument. Updated edition. 2003 [zuerst 1958]. dt. Der Gebrauch von Argumenten. 21996. KP