Tonem
[engl. toneme, frz. tonème, russ. тонема]
Kleinster (abstrakter) funktioneller Tonunterschied einer Silbe oder Tonhöhenverlaufstyp, der in sogenannten → Tonsprachen (ostasiatisch, indianisch und → suprasegmental afrikanisch) zeichendifferenzierend wirkt. In den Tonsprachen haben solche fest mit einer Silbe verknüpften Toneme die gleiche distinktive (zeichenunterscheidende) Funktion wie Vokal- oder Konsonantenphoneme und sind insofern phonologisch (→ Phonem) relevant.
Eine Tonsprache ist z.B. das Vietnamesische. Es besitzt sechs verschiedene Tonverläufe, die mit eigenen Diakritika (→ diakritisches Zeichen) dargestellt werden; am Beispiel:
- ma (dt. ‘Geist’): mittlerer, gleichbleibender Ton
- mà (dt. ‘aber’): fallender Ton
- má (dt. ‘Mutter’): steigender Ton
- mạ (dt. ‘Reissetzling’): fallender und abbrechender Ton
- mả (dt. ‘Grab’): Ton fällt zunächst und steigt dann wieder an
- mã (dt. ‘Pferd’): steigender und abbrechender Ton.
Im Hochchinesischen finden sich ähnliche Beispiele:
1. Erster Ton (hoher Ton):
Die Tonhöhe ist konstant und hoch. Beispiel: mā (‘Mutter’).
2. Zweiter Ton (steigender Ton):
Die Tonhöhe steigt von der unteren bis mittleren in die hohe Tonlage, vergleichbar mit der Intonation einer Frage im Deutschen. Beispiel: má (‘Hanf’).
3. Dritter Ton (niedriger oder niedrig-fallend-steigender Ton):
Die Tonhöhe fällt von einem mittlerem Niveau nach unten und steigt in der Regel wieder in das mittlere Niveau. Beispiel: mǎ (‘Pferd’).
4. Vierter Ton (fallender Ton):
Die Tonhöhe fällt scharf nach unten und die Silbe wird kürzer mit mehr Affekt ausgesprochen, vergleichbar mit der deutschen Betonung eines Befehls (z.B. „geh!“). Beispiel: mà (‘schimpfen’)._
Darüber hinaus wird noch ein neutraler Ton unterschieden, der in mehrsilbigen Wörtern auftreten kann oder auch in der Fragepartikel ma.
In Punu werden fünf Tonhöhenstufen unterschieden (1 bis 5). Ein Tonhöhenverlauf (= Ton) wird durch ein Paar bestehend aus zwei Tonhöhenstufen charakterisiert. Die erste Tonhöhenstufe ist die, die der Sprecher zuerst beim betreffenden Laut realisiert, die zweite ist diejenige, die der Sprecher gegen Ende des betreffenden Lautes artikuliert. „Die Phonemfolge [c], [u] bedeutet in Punu je nach dem, mit welchem Ton das [u] gesprochen wir, etwas anderes: cu33 – ‘zusammen’, cu22 – ‘das Allerletzte’, cu12 – ‘Brücke’, cu43 – ‘Wein’, ‘Alkohol’, cu42 – ‘befehlen’, cu31 – ‘Haken’, cu21 – ‘gerade eben’, cu231 – ‘Trockenheit’.“ (Schuster 2003, 31)
Lit.: Kohler, K.J., Einführung in die Phonetik des Deutschen. 1997. Schuster, J., Einführung in die Linguistik. 2003. Online abrufbar: http://www.cis.uni-muenchen.de/people/schuster/cl1/skript.pdf (letzter Zugriff: 25.05.2016). Sun, Y., Verankerung und Alignierung der Töne im Mandarin Chinesischen. 2005. Online abrufbar: http://www.ims.uni-stuttgart.de/studium/studierende/arbeiten/studentenarbeiten/fertig/Diplomarbeit_Sun_Ying.pdf (letzter Zugriff: 10.08.2016). Ternes, E., Einführung in die Phonologie. 32012, 134-140. HLD