Interpretative Semantik
[engl. interpretative semantics, frz. sémantique interpretative, russ. интерпретативная семантика]
Von N. Chomsky, J.J. Katz, J.A. Fodor u.a. entwickelte Konzeption innerhalb der → TG (→ generative Transformationsgrammatik). Anders als die Vertreter der Generativen Semantik (→ Generative Semantik), die in ihren Modellen von einer semantischen → Tiefenstruktur ausgingen, bleibt in der I.S. bei der Beschreibung der Kompetenz des idealen Sprecher/Hörers die → Syntax autonome und grundlegende Komponente. Diese wird jedoch um eine „interpretierende“ semantische Komponente ergänzt, die den abstrakten syntaktischen Ausgangsstrukturen mit Hilfe semantischer Regeln Lesarten zuweist. Für Katz/Fodor (1963) beschreibt und erklärt die semantische Theorie „die Interpretationsfähigkeit der Sprechenden, indem sie ihr Verhalten beim Feststellen von Anzahl und Inhalt der Bedeutungen eines Satzes berücksichtigt, semantische Anomalien aufdeckt, die Beziehungen zwischen den Sätzen hinsichtlich einer möglichen Paraphrasierung beurteilt und jede andere semantische Eigenart oder Beziehung, die bei dieser Fähigkeit eine Rolle spielt, kennzeichnet.“ (1970, 213) Dabei werden Transformationen (→ Transformation) als bedeutungsneutral betrachtet. Anders als in der strukturellen Semantik (→ strukturelle Semantik), die das in ihren semantischen Beschreibungen verwendete, relativ offene Inventar an semantischen Merkmalen (→ Sem) eher wortfeldbezogen gewann und definierte, besteht die semantische Analyse der I.S. überwiegend darin, Lexembedeutungen mit Hilfe eines begrenzten Inventars semantischer Merkmale zu beschreiben, für die überdies ein universeller Status beansprucht wird. Demgemäß besteht die semantische Komponente im Modell der I.S. aus semantosyntaktischen Wörterbucheinträgen (in Form von Stammbaumdiagrammen) und Projektionsregeln (→ Projektionsegel). Die Lexikoneinträge setzen sich jeweils aus einer Matrix phonologischer Merkmale, „grammatikalischen Kennzeichnern“ (z.B. → Nomen), den „Lesarten“ („lexical readings“), die aus abstrakten „Semantischen Kennzeichnern“ („semantic markers“) wie (Belebt), (Menschl.), (Männl.) und den (letztlich differentiae specificae [→ differentia specifica] bezeichnenden) „Unterscheidern“ („distinguishers“) wie [der nie geheiratet hat] (für engl. bachelor, dt. Junggeselle) zusammengesetzt sind, sowie eventuellen Selektionsrestriktionen (→ Selektionsrestriktion) zusammen. Als „Semantische Kennzeichner“ fungieren dabei die abstrakten Bedeutungsprimitive der → Komponentenanalyse. Bei der Verbindung monosemer (→ Monosemie) Lexeme ergibt sich aus dem Einsetzen der Lexikoneinträge in die syntaktischen Tiefenstruktur problemlos die Satzbedeutung. Im Falle der → Polysemie wird mit Hilfe der Projektionsregeln die Verträglichkeit der verschiedenen Lesarten der sich zum Satz verbindenden Lexeme überprüft; die Konstituenten werden so monosemiert (→ Disambiguierung) und wachsen durch schrittweise wechselseitige semantische Anpassung (→ Amalgamierung) zu immer höheren Einheiten bis hin zur → Satzbedeutung zusammen. Katz hat später (1977) versucht, eine illokutionäre Sprechhandlungskomponente (→ Illokution, → Sprechakttheorie) in das Modell der I.S. zu integrieren.
Lit.: Chomsky, N., Aspects of the Theory of Syntax. 1965. dt. Aspekte der Syntaxtheorie. 1969. Ders, Studies on Semantics in Generative Grammar. 1972. Jackendorff, R.S., Semantic Interpretation in Generative Grammar. 1972. Katz, J.J./Fodor, J.A., The structure of a semantic theory. In: Lg 39.1963, 170-210. dt. Die Struktur einer semantischen Theorie. In: Steger, H. (Hrsg.), Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen. 1970, 202-268. Katz, J.J., Interpretative semantics vs. Generative semantics. In: Foundations of Language 6.1970, 220-259. Ders., Semantic Theory. 1972. Ders., Propositional Structure and Illocutionary Force. 1977. Weinreich, U., Explorations in Semantic Theory. In: Current Trends in Linguistics. Vol. 3.1966, 395-477. dt. Erkundungen zur Theorie der Semantik. 1970. AB