Kode

29.09.2017 -  

[engl. code, frz. code, russ. код] (lat. codex ‘Schrifttafel’, ‘Verzeichnis’)

1. In der Informationstheorie Vorschrift für die (wechselseitige) Zuordnung der Signale (Signal) oder Signalfolgen zweier Zeichenrepertoires, mit denen dieselben Informationen dargestellt werden können, wie z.B. im Falle nachrichtentechnischer Verschlüsselungssysteme oder militärischer Geheimkodes. H. Seiffert (1968, 35) versteht unter einem K. „ganz allgemein eine Tabelle, die angibt, durch welche Zeichen uns vertraute Zeichen, wie etwa Buchstaben, in der fremden Zeichensprache dargestellt werden.“ Im Sinne eines solchen Inventars von Ausdruck/Bedeutung-Korrelationen ist der Begriff K. auch auf andere Wissenschaftsbereiche wie etwa die Genetik, übertragbar (vgl. genetischer K.). Einfache Kodes stellen z.B. intersubjektiv vereinbarte Klopfzeichen, die konventionell fixierte Korrelation zwischen Farbe und Verhaltensgebot bei der Verkehrsampel oder die jeweils aus nur zwei Grundzeichen kombinierten Binär-Kodes der EDV (elektrischer Impuls vs. Fehlen eines elektrischen Impulses) bzw. des Morsealphabets (Langton vs. Kurzton) dar.

2. Im Alltag gelegentlich auch i.S.v. ‘Zeichenkette, die zur technischen Identifikation befugter Personen dient’ (z.B. ein Zahlenkode wie beim Safe oder beim Fahrradschloss).

3. In der Sprachwissenschaft allgemein für ein Sender und Empfänger zum Zwecke der Verständigung gemeinsam zur Verfügung stehendes Zeichensystem. Schon indirekt nahegelegt durch F. de Saussures (1916) Modell vom „Kreislauf des Sprechens“ und („code der Sprache“) explizit auf die Sprache übertragen, die damit gemäß dem nachrichtentechnischen Modell vorgestellt wird, ist der Begriff bei Jakobson/Halle (1956, 15) zunächst nur auf das Inventar distinktiver Schallmerkmale, deren Kombination zu Phonemen (Phonem) sowie die Regeln der Sequenzierung von Phonemen zu größeren Einheiten beschränkt. Bei Martinet (1963, 33) dann zur Bezeichnung des Sprachsystems als der Langue im Unterschied zur einzelnen Nachricht auf der Ebene der Parole und damit vollständig auf die Sprache übertragen: „Der Code ist die Einrichtung, welche die Abfassung der Nachricht ermöglicht; mit ihm vergleicht man jeden Bestandteil einer Nachricht, um ihre Bedeutung zu ermitteln.“ Seither ist K. in der Sprachwissenschaft allgemein üblich i.S.v. ‘System konventioneller Zeichen („bilateraler“ Verbindungen von Bezeichnendem und Bezeichneten) und der Regeln ihrer Verknüpfung’, gilt also gleichfalls für auch als Subk. bezeichnete Varietäten wie Idiolekt, Soziolekt, Dialekt, Fach- und Gruppensprachen usw. Häufig werden semantische, syntaktische und phonologische Kodes unterschieden (und damit der Sprachk. in verschiedene Teilkodes aufgespalten). Zur Inflation des K.begriffs seit Mitte der 1950er Jahre vgl. v.a. U. Eco (1985), der (1987) zu deren Bekämpfung die nützliche Unterscheidung zwischen „S-Codes“ (Codes als System) und „Codes“ eingeführt hat: Während es sich bei den „S-Codes“ um „Systeme oder ,Strukturen‘ [handelt], die auch unabhängig von jeglicher Signifikations- oder Kommunikationsabsicht bestehen können“ und „aus einer endlichen Zahl von Elementen [bestehen], die oppositionell strukturiert sind und von Kombinationsregeln beherrscht werden, die sowohl endliche als auch unendliche Ketten dieser Elemente generieren können“, stellen „Codes“ Korrelationen der Elemente eines „S-Codes“ mit denen eines oder mehrerer anderer „S-Codes“ dar. Damit erweisen sich phonologischer und semantischer K. als „S-Codes“, und erst aus deren Korrelation entsteht ein eigentlicher „Code“ im Sinne Ecos. Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung ist die zwischen natürlichen (nicht von Menschen erzeugten), künstlichen (von Menschen planvoll geschaffenen) und „Kodes der dritten Art“, die zwar Ergebnis menschlichen Handelns sind, nicht aber planvoll geschaffen wurden, sondern, wie die natürlichen Sprachen, im Zuge kollektiver Interaktion historisch entstanden sind (vgl. Keller/Lüdtke 1997, 415ff.). – Die metaphorische Übertragung des informationstechnischen Modells (Sender – Empfänger, K. – Nachricht, Enkodieren – Dekodieren) auf die Sprache ist nicht unproblematisch. Die Gefahr des durch die Verwendung dieser Metapher vorgegebenen Modells besteht darin, die natürliche Sprache in Analogie zur kommunikationstechnischen Datenübertragung zu denken und dabei entweder psychische und kognitive Momente ganz auszublenden oder die menschliche Kommunikation im Sinne der gleichsam mechanischen Übersetzung und interpretativen Rekonstruktion ( Enkodierung, Dekodierung) nicht-sprachlicher Gedanken in Sprachzeichen zu verstehen, wobei fraglich bleibt, in welches Zeichensystem die sprachlich kodierten Äußerungen beim Dekodieren übersetzt werden sollten. Während die Zeicheninventare künstlicher Kodes begrenzt und weitgehend redundanzfrei sind, sind die der natürlichen Sprachen prinzipiell unbegrenzt und redundant.

4. In der Soziolinguistik seit B. Bernstein ein schichtenspezifisches, vom Standard abweichendes Sprachsystem, d.h. ein Soziolekt. Bernstein unterschied zwischen dem „restringierten“ K. bildungsferner Schichten und dem „elaborierten“ K. der Mittel- und Oberschicht. Die aus diesem Ansatz resultierende Defizithypothese wurde unter dem Einfluss v.a. der Forschungen von W. Labov zum Nonstandard English zugunsten der Differenzhypothese, die auf der Gleichwertigkeit schichtenspezifischer Kodes insistierte, aufgegeben. Heute wird Bernsteins Ansatz z.T. differenzierter betrachtet (vgl. Bolander/Watts 2009).

Sprachwandel, natürliche Sprache, Varietät, Codemixing, Codeswitching

Lit.: Bernstein, B., Studien zur sprachlichen Sozialisation. 1972. Ders., Social Class and Sociolinguistic Codes. In: Ammon, U./Dittmar, N./Mattheier, K.J./Trudgill, P. (Hrsg.), Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft. 2. Teilbd. 2. vollst. neu bearb, u. erw. Aufl. 2005, 1287-1303. Bolander, B./Watts, R.J., Re-reading and rehabilitating Basil Bernstein. http://www.zora.uzh.ch/id/eprint/75990/1/Bolander_Watts_Re-reading_and_rehabilitating_Basil_Bernstein.pdf (letzter Zugriff: 22.09.2017). Eco, U., Einführung in die Semiotik. 1972. Ders., Zeichen. 1977. Ders., Semiotik und Philosophie der Sprache. 1985. Ders., Semiotik. 1987. Funk-Kolleg Sprache. Bd. 1. 1973, 38-56. Jakobson, R./Halle, M., Fundamentals of Language. 1956. Keller, R./Lüdtke, H., Kodewandel. In: Posner, R./Robering, K./Sebeok, Th.A. (eds.): Semiotik/Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. 1. Teilbd. 1997, 414-435. Labov, W., The logic of non-standard English. In: Alatis, J.E. (ed.), Report on The Twentieh Round Table Meeting on Linguistics and Language Studies. 1970, 1-29. Martinet, A., Éléments de linguistique structurale. 1960. dt. Grundzüge der allgemeinen Sprachwissenschaft. 1963. Posner, R., Kodes als Zeichen. In: Zeitschrift für Semiotik 5.1983, 401-408. Prieto, L.J., Nachrichten und Signale. 1972. Seiffert, H., Information über die Information. 1968. Shannon, C./Weaver, W., The Mathematical Theory of Communication. 1949. Watt, G.T./Watt, W.C., Codes. In: Posner, R./Robering, K./Sebeok, Th.A. (eds.): Semiotik/Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. 1. Teilbd. 1997, 404-414. AB

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