Semiose
[engl. semiosis, frz. sémiose, russ. семиозис] (griech. σηµείωις ‘Bezeichnung’)
Auch: Semiosis, Zeichenprozess. In der → Semiotik der Prozess des Zeichengebrauchs, genauer: der unbegrenzten Ersetzbarkeit von Zeichen durch Zeichen. Ch.S. Peirce, der diesen Begriff geprägt hat, versteht unter der S. „eine Aktion oder einen Einfluß, der aus einer Kooperation dreier Objekte besteht oder diese einschließt, wie z.B. ein Zeichen, sein Objekt und sein Interpretant, wobei dieser tri-relative Einfluß auf keinerlei Weise in Aktionen zwischen je zwei Objekten aufgelöst werden kann. Σηµείωις bedeutete im Griechischen der römischen Periode [...] die Aktion beinahe jeder Art von Zeichen; und meine Definition verleiht allem, das sich so verhält, den Titel eines ,Zeichens‘.“ (5.484) Ch.W. Morris definiert „semiosis (or sign process)“ als “as a process in which something is a sign to some organism” (1946, 366; 1973, 421). Für ihn ist sie zugleich „a five-term relation – v, w, x, y, z – in which v sets up in w the disposition to react in a certain kind of way, x, to a certain kind of object, y (not then acting as a stimulus), under certain conditions, z. The v’s, in the cases where this relation obtains, are signs, the w’s are interpreters, the x’s are interpretants, the y’s are significations, and the z’s are the contexts in which the signs occur.“ (1964, 2) Das semiotische oder semiosische Universum ist unendlich, weil die → Bedeutung eines jeden Zeichens ein (als → Interpretant fungierendes) anderes Zeichen ist, das seinerseits durch Interpretanten (sprachliche und nicht-sprachliche) substituierbar ist. Bedeutung ist also nur in der Gestalt anderer Zeichen gegeben. Für U. Eco (1987, 102) ist es daher am zweckmäßigsten, „wenn man den Interpretanten als eine weitere Vorstellung auffaßt, die sich auf denselben ,Gegenstand‘ bezieht. Anders ausgedrückt, um festzulegen, was der Interpretant eines Zeichens ist, muss man ihn durch ein anderes Zeichen benennen, dessen Interpretant wiederum durch ein weiteres Zeichen benannt wird und so weiter. An diesem Punkt beginnt ein Prozess unbegrenzter S., der, so paradox das auch sein mag, den einzigen Garanten für die Begründung eines semiotischen Systems darstellt, das fähig ist, sich allein durch eigene Mittel zu kontrollieren. Sprache wäre demgemäß ein sich selbst kontrollierendes System oder, besser, ein System, das durch sukzessive Systeme von Konventionen erklärt wird, die sich gegenseitig erklären.“ Das → Ikon ‘Abbildung von Rauch’ konnotiert die Vorstellung ‘Rauch’, die zum → Index für ‘Feuer’ wird, das seinerseits ‘Wärme’ konnotiert, aber z.B. auch ‘Gefahr’ und ‘Umweltverschmutzung’. ‘Wärme’ wiederum konnotiert etwa sein → Hyperonym ‘Temperatur’ oder sein → Antonym ‘Kälte’ sowie entsprechende Gefühlsbedeutungen wie ‘angenehm’ oder ‘unangenehm’. Eco (1972, 108) bestimmt die → Konnotation (3) als „die Gesamtheit aller kulturellen Einheiten, die von einer intensionellen Definition des Signifikans ins Spiel gebracht werden können“, und als die „Summe aller kulturellen Einheiten, die das Signifikans dem Empfänger institutionell ins Gedächtnis rufen kann“ (ebd.), also als eine konventionell bereitgestellte Kette möglicher Interpretanten. Wie auch das Beispiel zeigt, wird die unendliche S. damit zur unendlichen Kette der Konnotationen (vgl. auch Eco 1987, 105f.). Diese konnotative Verkettung wiederum entpuppt sich als ein enzyklopädisches Labyrinth (als ein Raumnetz der Gestalt eines „Rhizoms“), wie es Eco in Semiotik und Philosophie der Sprache (1985, 125ff.) beschrieben hat. – Weil es nach der semiotischen Konzeption aufgrund der postulierten unendlichen Konnotierbarkeit weiterer Zeichen keine letzten Interpretanten gibt, darum lässt sich – wie K.-O. Apel (in seiner Einführung zu Morris [1973, 33]) kritisch angemerkt hat – auf der Basis des Peirce-Morris-Ecoschen Modells nicht zwischen „gelungener“ und „misslungener“ S. unterscheiden. Unbegrenzte S. heißt unendliches Springen von Knoten zu Knoten im konnotativ-enzyklopädischen Raum-Labyrinth und kommt daher per definitionem nie vollständig zum Ziel und zur Ruhe, d.h. zu vollständig abgeschlossenem Verständnis; und auch Wahrheit kann in diesem Sinne, semiotisch betrachtet, immer nur eine vorläufige sein. Das beweist letztlich auch die unendliche Zahl der Bücher, in denen auf andere Bücher eingegangen wird, so dass die Bibliothek, wie Eco in Der Name der Rose schreibt, zum „Zeichen des Labyrinthes der Welt“ (1987, 201), d.h. zum → Symbol (1) der S. wird, zum „Ort eines langen und säkularen Gewispers, eines unhörbaren Dialogs zwischen Pergament und Pergament“ (ebd., 366).
Lit.: Burkhardt, A., Die Semiotik des Umberto „von Baskerville“. In: Ders./Rohse, E. (Hrsg.), Umberto Eco. Zwischen Literatur und Semiotik. 1991, 29-89. Eco, U., Einführung in die Semiotik. 1972. Ders., Semiotik und Philosophie der Sprache. 1985. Ders., Semiotik. 1987. Ders., Der Name der Rose. 121987. Krampen, M., Models of semiosis. In: Posner, R./Robering, K./Sebeok, Th.A. (eds.): Semiotik/Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. 1. Teilbd. 1997, 247-287.Morris, Ch.W., Foundations of the Theory of Signs. In: Foundations of the Unity of Science: Toward an International Encyclopedia of Unified Science. Vol. I. No. 2. 1938. dt. Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik und Zeichentheorie. 1972. Ders., Signs, Language and Behavior. 1946. dt. Zeichen, Sprache und Verhalten. 1973. Ders., Signification and Significance. 1964. Peirce, Ch.S., Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus. 21976. AB