Funktionsverb

30.01.2017 -  

Eine Variante eines auch als → Vollverb existierenden Verbs, das im Vergleich zu diesem eine reduzierte, abstraktere Bedeutung hat und nur gemeinsam mit einer → Nominalphrase aus dem mentalen Lexikon abgerufen werden kann (zur Anwendung kommen ↔ anwenden; zum Ausdruck bringen ↔ ausdrücken), mit der es ein lexikalisches Wort (→ Funktionsverbgefüge) bildet.

Der Begriff F. wird in der Literatur recht unterschiedlich dargestellt:

a) F. sind diejenigen Verben, „die ein oder mehrere zusätzliche Elemente zur Hilfe nehmen müssen, um das Prädikat des Satzes zu bilden.“ (Vgl. u.a. Hentschel/Weydt 2013, 74)

b) Das F. ist ein Verb dann, wenn es lediglich Träger der Flexionskategorien des Funktionsverbgefüges ist, während die Nominalphrase (→ Akkusativphrase oder → Präpositionalphrase) zum Träger der verbalen Bedeutung geworden ist.

c) Als F. kann ein Verb dann charakterisiert werden, wenn es als Verb erst in seiner strukturellen Verbindung mit einer Nominalphrase als ein lexikalisches Wort identifiziert wird. (Die → lexikalische Bedeutung des Vollverbs anwenden kann z.B. nur durch die enge Bindung des Funktionsverbs kommen an die Präpositionalphrase zur Anwendung ausgedrückt werden, wenngleich keine absolute Bedeutungsgleichheit zwischen beiden Varianten besteht.)

d) Weinrich (2007, 41ff.) fasst unter textgrammatischem Aspekt F. und Nominalphrase als mögliches „Vorverb“ und „Nachverb“ einer → Lexikalklammer unter dem Begriff F. zusammen. F. scheinen demzufolge sowohl morphologische, syntaktische als auch semantische Funktionen zu erfüllen. „Sollte sich ,Funktionsverb‘ (FV) als grammatische Kategorie erweisen, wäre sie als Wortkategorie neben dem Vollverb, Kopulaverben und Modalverben anzusiedeln.“ (Eisenberg 2013, 305) Vorrangig das syntaktische Kriterium a) für die Darstellung des Wesens von Funktionsverben zu nutzen, würde deren spezifische Funktion gegenüber den übrigen Wortkategorien des Verbs nicht klären helfen. Viel eher handelt es sich um die semantische Besonderheit, dass Funktionsverben dem durch die Nominalphrase ausgedrückten verbalen Geschehen ein das Prozessuale oder die Dauer des betreffenden Vorgangs betonendes Bedeutungsmoment hinzufügen, welches das entsprechende Vollverb nicht aufweist: in Abhängigkeit geraten (d.i. Zustandsveränderung/ → inchoativ); sich in Abhängigkeit befinden (d.i. Ausdruck eines Zustandes/ → durativ; jmdn. in Abhängigkeit versetzen (d.i. Bewirken einer Zustandsveränderung bzw. eines Zustandes/ → causativ); zur Anwendung bringen (d.i. aktivisch); Anwendung finden (d.i. passivisch) zu anwenden.

Die jeweilige semantische Leistung des Funktionsverbs entspricht möglicherweise einem konkreten → Sem seines Vollverbhomonyms, während andere Bedeutungselemente der eigentlichen Verbbedeutung verblasst sind. (Vgl. Vollverb befinden: ‘jmd./etw.’ + ‘sein’ + ‘an einem bestimmten Ort’ mit Funktionsverb befinden: ‘sein’ (‘in einem bestimmten Zustand’). Vergleicht man die lexikalisch-semantische Bedeutung eines Verbs in seiner Funktion als Vollverb mit der des Funktionsverbs, so sind Funktionsverben in semantischer Hinsicht Ausdruck der Generalisierung nur eines bestimmten Sems, das letztlich für die semantische Mehrleistung des Funktionsverbgefüges gegenüber seinem Vollverbpendant verantwortlich ist.

Nach Engel (vgl. 1988, 407) lassen sich Funktionsverben unter dem Aspekt der morphologischen Umgebung klassifizieren in solche, die sich mit einer Präpositionalphrase verbinden (ca. 12 Verben), und solche, die gemeinsam mit einer Akkusativphrase ein lexikalisches Wort bilden (ca. 100 Verben).

Lit.:Burger, H., Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 22003. Duden. Die Grammatik. 7., völlig neu erarb. und erw. Aufl. 2006. Eisenberg, P., Grundriss der deutschen Grammatik. 31994. Ders., Grundfragen der deutschen Grammatik. Bd. 2. Der Satz. 42013. Engel, U., Deutsche Grammatik. 1988. Engelen, B., Zum System der Funktionsverbgefüge. In: Wirkendes Wort 18.1968, 289-303. Fleischer, W./Hartung, W./Schildt, J./Suchsland, P., Deutsche Sprache. Kleine Enzyklopädie. 1983. Fleischer W., Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. 21997. Helbig, G./Buscha, J., Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 19., neubearb. Aufl. 2001. Hentschel, E./Weydt, H., Handbuch der deutschen Grammatik. 4., vollständig überarb. Aufl. 2013. Heringer, H.J., Die Opposition von kommen und bringen als Funktionsverben. 1968. Herrlitz, W., Funktionsverbgefüge vom Typ „inErfahrung bringen“. Ein Beitrag zur generativ-transformationellen Grammatik des Deutschen. 1973. Pilz, K.D., Phraseologie. 1981. Reiners, L., Deutsche Stilkunst. 1944. Polenz, P. von, Funktionsverben im heutigen Deutsch. Sprache in der rationalisierten Welt. 1963. Pottelberge, J. van, Funktionsverbgefüge und verwandte Erscheinungen. In: Burger, H./Dobrovol’ski, D./Kühn, P./Norrick, N.R. (Hrsg.), Phraseologie. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 1. Halbbd. 2007, 436-444. Riesel, E., Stilistik der deutschen Sprache. 1959. Weinrich, H., Textgrammatik der deutschen Sprache. 42007. AJ

Letzte Änderung: 01.10.2024 - Ansprechpartner: Webmaster