Implikatur
[engl. implicature, frz. implicature, russ. импликатура] (lat. implicare ‘umschlingen, umfassen’)
Von H.P. Grice (1975) gebildetes Kunstwort (engl. implicature), mit dem sowohl das bezeichnet wird, was in einer Äußerung über das Gesagte (→ Proposition) hinaus mitgemeint, aber nicht verbalisiert wird (→ Präsupposition), als auch der Prozess der Reinterpretation des Wortlauts selbst. Grice unterscheidet zwischen „konventionalen“ und „konversationalen“ (auch: „konversationellen“) Implikaturen. Konventionale Implikaturen, die wie alle Implikaturen den Wahrheitswert der sie transportierenden Bezugsäußerung nicht beeinflussen, „sind die Bestandteile des Äußerungsinhaltes, die sich zwar aus der wörtlichen Bedeutung des geäußerten Satzes ergeben, die aber nicht zum Gesagten zu rechnen sind“ (Kemmerling 1991, 325). Sie können z.B. mit Hilfe von Konjunktionen oder Adverbien angedeutet werden: Er ist Engländer, und daher ist er tapfer legt eine kausale Lesart nahe, ohne dass die Wahrheit beider Teilsätze vom Zutreffen ihrer mitbehaupteten kausalen Verbindung abhängig wäre. Eine „konversationale“ I. ist die vom Sprecher (mehr oder weniger deutlich) nahegelegte konversationell adäquate Reinterpretation seiner kontextuell in ihrem tatsächlichen Wortlaut offenkundig einer oder mehreren → Konversationsmaximen widersprechenden Äußerung durch den Hörer aufgrund weiterhin unterstellter Beachtung des allgemeinen „Kooperationsprinzips“ (vgl. Burkhardt 1986, 169). Mit Hilfe dieses Verfahrens der Entschlüsselung von Andeutungen lassen sich bei indirekten Sprechakten tatsächlich gemeinte → Illokution und Proposition einer Äußerung ermitteln. Wenn A sagt: Smith scheint derzeit keine Freundin zu haben und B ihm darauf antwortet: Er war in der letzten Zeit oft in N.Y., dann „implikiert“ (oder „implikatiert“) Bs Äußerung (soll sie denn als sinnvolle Antwort verstanden werden) die tatsächlich gemeinte Proposition: ‘Smith hat (vermutlich) eine Freundin in N.Y.’. Und wenn Caesars Geist zu Brutus sagt: Bei Philippi sehen wir uns wieder!, dann legt seine Äußerung die Reinterpretation im Sinne der tatsächlich gemeinten Illokution und Proposition nahe: ‘ich drohe dir damit, dass mich Oktavian und Antonius bei Philippi rächen werden’. Als Formen der konversationalen I. nennt Grice ausdrücklich auch rhetorische Tropen wie → Ironie, → Metapher, → Litotes und → Hyperbel. In der Literatur sind v.a. die unklare Bestimmung der „konventionalen“ I. sowie deren unscharfe Trennung von der „konversationalen“ kritisiert worden.
→ Sprechakt, → Sprechakttheorie, → indirekter Sprechakt
Lit. Burkhardt, A., Soziale Akte, Sprechakte und Textillokutionen. 1986. Grice, H.P., Logic and conversation. In: Cole, P./Morgan, J.L. (eds.), Speech Acts. 1975, 41-58. dt. in: Meggle, G. (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung. 1979, 243-265. Ders., Further notes on logic and conversation. In: Cole, P. (ed.), Pragmatics. 1978, 113-127. Kemmerling, A., Implikatur. In: Stechow, A. von/Wunderlich, D. (Hrsg.), Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. 1991, 319-333. Levinson, St.C., Pragmatik. Neu übersetzt von M. Wiese. 32000. Liedtke, F. (Hrsg.), Implikaturen. Grammatische und pragmatische Analysen. 1995. Simons, M., Implicature. In: Maienborn, C./Heusinger, K. von/Portner, P. (eds.), Semantics. An International Handbook of Natural Language Meaning. Vol. 3. 2011, 2460-2486. Sperber, D./Wilson, D., Relevance. Communication and Cognition. 1986. AB