Onomasiologie

Analog zu → Semasiologie gebildeter Begriff (wohl zuerst bei J. Gilliéron), ‘Bezeichnungslehre’. Diejenige Methode, Betrachtungsweise bzw. Teildisziplin innerhalb der → Semantik, nach der bzw. durch die zu vorgegebenen Bedeutungen, Sachen oder Sachbereichen, d.h. zu den Bezeichneten (→ Bezeichnetes), in diachroner oder synchroner Perspektive die entsprechenden Einzellexeme, deren Bedeutungsstruktur und Vernetzung zu Wortfeldstrukturen ermittelt werden. Die O. setzt (je einzelsprachlich fixierte) Oberbegriffe (→ Hyperonym) als genera proxima (→ genus proximum) und sucht die Wörter, deren Bedeutungen (bzw. Teilbedeutungen, → Semem) unter sie fallen, und die Kollektion der semantischen Merkmale (→ Sem), die als differentiae specificae (→ differentia specifica) die Bausteine darstellen, aus denen sich die lexikalischen Paradigmen bzw. → Wortfelder nach der strukturalistischen Vorstellung zusammensetzen. Dabei können die Oberbegriffe entweder als lexikalische Einheit (→ Archilexem) oder als übergeordnetes, allen Feldmitgliedern gemeinsames semantisches Merkmal (→ Noem) konzipiert sein. Ausgehend z.B. vom Noem ’Möbel zum Sitzen’ oder vom Archilexem Sitzmöbel werden in der onomasiologischen Vorgehensweise die lexikalischen Einheiten zusammengestellt, die das genannte Merkmal aufweisen bzw. unter das genannte genus proximum fallen: Stuhl, Hocker, Sessel, Bank, Sofa usw., und als differentiae specificae deren weitere semantische Merkmale ermittelt, so dass ein onomasiologisches lexikalisches → Paradigma entsteht. Auf dieselbe Weise lässt sich, im Ausgang von einem in einer Sprache fixierten Noem oder Archilexem, das entsprechende lexikalische Paradigma einer anderen Sprache erstellen wie z.B. engl. chair, stool, arm-chair, bench, sofa usw. Weil O. sowohl innereinzelsprachlich als auch zwischensprachlich (beim Sprachvergleich) nach demjenigen forscht, was verschiedenen Ausdrucksformen (→ Bezeichnendes) gemeinsam ist, läuft sie Gefahr, dieses Gemeinsame in der Sphäre sprachunabhängiger Begriffe zu suchen. War die frühe O. (vgl. v.a. Dornseiff [1934]) noch durch sprachtheoretisch eher naives Ausgehen von (in der Realität bereits mehr oder weniger gegliedert vorfindlichen) Wort- und Sachbereichen gekennzeichnet, zu denen dann die Einzelbezeichnungen der „Wörter und Sachen“ gesucht wurden, erhob die strukturalistische O. den methodologisch begründeten, aber sachlich zweifelhaften Anspruch (K. Heger, H. Henne, H.E. Wiegand), von über- oder außereinzelsprachlichen Begriffen auszugehen (die sich jedoch tatsächlich immer nur einzelsprachlich fixieren lassen und insofern methodologische Konstrukte sind). Alle Synonymenwörterbücher und Wortschätze nach Sachgruppen beruhen auf onomasiologischen Verfahren.

Lit.: Baldinger, K., Sémasiologie et onomasiologie. In: Revue de Linguistique Romane 28.1964, 249-272. De Cubber, W., Onomasiologische Fallstudien. In: Cruse, A./Hundsnurscher, F./Job, M./Lutzeier, P.R. (Hrsg.). Lexikologie. Ein internationales Handbuch zur Natur du Struktur von Wörtern und Wortschätzen. 1. Halbbd. 2002, 752-763. Dornseiff, F., Der dt. Wortschatz nach Sachgruppen. 61965. Grzega, J., Bezeichnungswandel: Wie, Warum, Wozu? Ein Beitrag zur englischen und allgemeinen Onomasiologie. 2004. Heger, K., Die Semantik und die Dichotomie von Langue und Parole. Neue Beiträge zur theoretischen Standortbestimmung von Semasiologie und Onomasiologie. In: ZRPh 85.1969, 144-215. Henne, H., Semantik und Lexikographie. 1972. Henne, H./Wiegand, H.E., Geometrische Modelle und das Problem der Bedeutung. In: ZDL 38.1971, 47-63. Quasthoff, U. (Hrsg.), Dornseiff – Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen. 82004. Schmidt-Wiegand, R., Die onomasiologische Sicht auf den Wortschatz. In: Cruse, A./Hundsnurscher, F./Job, M./Lutzeier, P.R. (Hrsg.). Lexikologie. Ein internationales Handbuch zur Natur du Struktur von Wörtern und Wortschätzen. 1. Halbbd. 2002, 738-752. Wiegand, H.E., Synchronische Onomasiologie und Semasiologie. In: GL 3.1970, 243-383. AB

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