Symbol
[engl. symbol, frz. symbole, russ. символ] (griech. σύμβολον ‘Merkmal, Kennzeichen’)
1. (a) In Literatur, Literaturwissenschaft, Kunst und Religion der Tradition folgend in der Regel i.S.v. ‘Wahrzeichen, Sinnbild’, d.h. als ein sinnlich gegebenes, konventionelles, zumeist bildliches → Zeichen (→ Ikon), das mit Hilfe seiner Ausdrucksgestalt (→ Bezeichnendes) über sich selbst hinaus auf einen höheren, abstrakten oder sogar metaphysischen Bereich, eine Idee, Ideologie, einen Wert oder eine gemeinsame Geschichte verweist (z.B. Wappen, Denkmäler, das Kreuz im Christentum) und damit auf zwei semiotischen Ebenen signifiziert. Das S. ist so ein Besonderes, das als Zeichen ein Allgemeines, auf das es metaphorisch, metonymisch oder synekdochisch bezogen ist und über seinen unmittelbar ikonisch-konkreten Zeichencharakter hinaus weitere abstrakt-allgemeine Bedeutung gewinnt. So ist in der christlichen Tradition das jeweilige Abendmahl als Erinnerung an sein ursprüngliches Vorbild ein S. der Gemeinschaft der Gläubigen, innerhalb dessen Brot und Wein ihrerseits den Leib Christi (als Heilss.) symbolisieren. An diese Tradition schließt auch J.W. von Goethe an, für den das S. sowohl Anschaulichkeit als auch eine repräsentative Bedeutung erfordert: „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen unaussprechlich bliebe.“ (1973, 470) Ähnlich auch G.W.F. Hegel (zuerst 1817), der die „Zweideutigkeit“ (1970, 397ff.) des Symbols betont und es bestimmt als „eine für die Anschauung unmittelbar vorhandene oder gegebene äußerliche Existenz, welche jedoch nicht so, wie sie unmittelbar vorliegt, ihrer selbst wegen genommen, sondern in einem weiteren und allgemeineren Sinne verstanden werden soll. Es ist daher beim S. sogleich zweierlei zu unterscheiden; erstens die Bedeutung und sodann der Ausdruck derselben. Jene ist eine Vorstellung oder ein Gegenstand, gleichgültig von welchem Inhalte, dieser ist eine sinnliche Existenz oder ein Bild irgendeiner Art“ (ebd., 394). Für Hegel ist das S. ein Zeichen, „welches in seiner Äußerlichkeit zugleich den Inhalt der Vorstellung in sich selbst befasst“ (ebd., 395). Er unterscheidet die „unbewußte“ Symbolik von der der „Erhabenheit“ und der der „vergleichenden Kunstform“ (ebd., 413ff.). (b) Literarisch entsteht das S. durch sprachliche Beschreibung eines auf Allgemeines verweisenden Besonderen und erscheint daher ebenfalls semiotisch gleichsam gedoppelt (ist aber nicht notwendig konventionell, sondern kontextuell). In diesem Sinne ist die Schilderung von Hermanns Wanderung zum reife Früchte tragenden Birnbaum auf dem Hügel in Goethes Hermann und Dorothea ein S. der Identitätsfindung im Zeichen von Ewigkeit und Kontinuität oder der beim Versuch des Wegwischens größer werdende Tintenfleck in den Wahlverwandtschaften ein S. für Schuld (vgl. dazu Kurz 1982, 73ff.). Wie Madame Chauchat (frz. ‘heiße Katze’) und Frau Stöhr in Th. Manns Zauberberg belegen, kommen als literarische Symbole, d.h. in Texten erwähnte symbolische Gegenstände („Dingsymbole“), auch „sprechende“ Eigennamen in Frage. G. Kurz (ebd., 75) hat darauf hingewiesen, dass Symbole in literarischen Texten weniger ikonisch sind, als vielmehr vom interpretierenden Leser als Indizien (→ Index) genommen werden, also etwa zugleich „indizierende“ und „metaphorische“ Bedeutung aufweisen können. (c) Dem älteren Gebrauch, der das S. als → Ikon i.S. der Semiotik versteht, folgt auch F. de Saussure (zuerst 1916), wenn er die Gleichsetzung von Zeichen und S. mit dem Argument ablehnt, das Beispiel der Waage als S. für Gerechtigkeit zeige, dass das S. niemals ganz beliebig (→ Arbitrarität) sei, sondern „bis zu einem gewissen Grade eine natürliche Beziehung zwischen → Bezeichnung und → Bezeichnetem“ (1968, 80) aufweise und daher motiviert sei (→ Motivation). Damit wird von Saussure (im Ggs. zu Peirce und seinen Nachfolgern) der größte Teil der Sprachzeichen aus der Klasse der Symbole ausgeschlossen. (d) Bei L. Hjelmslev (1943) entsprechend „Größen, die mit ihrer Interpretation isomorph sind, Abbilder oder Sinnbilder wie Thorvaldsens Christus als S. der Barmherzigkeit, Hammer und Sichel als S. des Kommunismus, die Waagschalen als S. der Gerechtigkeit und Onomatopoetika im Bereich der Alltagssprachen.“ (1974, 110) Eco (1985, 204f.) hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Isomorphie-These Hjelmslev dazu zwingen würde, auch Diagramme als Symbole zu verstehen, obwohl sich diese als durch Abstraktion und Projektion entstandene Abbilder vom Symbolismus der Sinnbilder deutlich unterschieden. (e) Mit dem Argument größerer Nähe zur Alltagssprache spricht sich auch J. Lyons (1980, 118) dafür aus, „den Terminus symbolisch für die Art von Beziehungen, die zwischen Adlern und guter Sehfähigkeit besteht, zu verwenden, wobei man beispielsweise sagt, daß der Adler ein S. für gute Sehfähigkeit ist oder diese symbolisiert.“ (f) An die Definition Hegels anschließend und diese zugleich erweiternd bestimmt U. Eco (1985) den Inhalt des Symbols als einen „Nebel möglicher Interpretationen“: „Das S. sagt, daß es etwas gibt, was es sagen könnte, aber dieses Etwas kann nicht ein für alle Mal und deutlich buchstabiert werden, denn sonst würde das S. aufhören, es zu sagen“ (1985, 237). Für ihn ist das S. eine „semiotische Maschine“ (ebd.) zur Erzeugung von Deutungen und damit wesentlich „offen“. Es stellt daher keinen bestimmten Zeichentyp dar, sondern „eine Textmodalität, eine Art und Weise, die Aspekte des Textes herzustellen und zu interpretieren“ (ebd., 238f.). Unklar bleibt, ob Eco nur an literarische oder auch an Bildsymbole denkt.
2. (a) Seit Ch.S. Peirce in der → Semiotik übliche Bezeichnung für die „relativ echte Art“ von (sprachlichen oder nicht-sprachlichen) Zeichen, die – im Ggs. zum durch die Wahrnehmung von Ähnlichkeits- oder Analogiebeziehungen erzeugten, „qualitativ degenerierten“ → Ikon und zum aus erfahrungsmäßiger (z.B. kausaler) Verbindung entstandenen „reaktionshaft degenerierten“ → Index (1) – nicht motiviert, sondern konventionell mit ihrem Bezeichneten verbunden und durch → Arbitrarität, Reproduzierbarkeit (als → Vorkommen) und Allgemeinheit gekennzeichnet sind (vgl. 1976, 5.73). So auch bei K. Bühler (1934, 28), der S. als Synonym für „Darstellung(-sfunktion)“ verwendet, wenn er sagt, das (zugleich die Funktionen von „Ausdruck“ und „Appell“ aufweisende) „komplexe Sprachzeichen“ sei S. „kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten“ (→ Bühlersches Organonmodell). In dieser von Peirce initiierten Sehweise sind Sprachzeichen Symbole par excellence. (b) Für Ch.W. Morris (1946) ist das S. „ein von seinem Interpreten hergestelltes Zeichen, das als Ersatz für einige andere Zeichen fungiert, mit denen es synonym ist“ (1973, 101); alle anderen Zeichen stellen für ihn Signale (→ Signal) dar. Auch für Morris, der zwischen „vor-sprachlichen“, „sprachlichen“ und „nach-sprachlichen“ Symbolen unterscheidet (vgl. ebd., 422), sind die Wörter und Texte der Sprache Symbole, weil sie die in der äußeren Welt vorkommenden Signale (oder andere Symbole) interpretieren und so substituieren. Indem er „ikonische Symbole“ wie Kreuz und Totemtiere zulässt, gibt Morris die klare Peircesche Unterscheidung zwischen Ikon und S. ausdrücklich auf.
3. Bei G.K. Ogden/I.A. Richards (1923, 23) als Oberbegriff für „words, arrangements of words, images, gestures, and such representations as drawings or mimetic sounds“, d.h. in der Bedeutung 'materielles Zeichen, Zeichengestalt' (→ semiotisches Dreieck). Während das S. mit dem Referenten (→ Referent) nur dadurch indirekt verbunden ist, dass es von jemandem in der Weise gebraucht wird, dass es für den Referenten steht, ist seine Verbindung mit dem durch es bedeuteten Gedanken („Thought or Reference“) eine kausale und damit direkte. In ähnlich allgemeiner Weise als Synonym für Zeichen (als Verbindung von Form und Inhalt) bei E. Cassirer (1923; 1956), der zugleich dessen schöpferischen Charakter betont: „Die Grundbegriffe jeder Wissenschaft, die Mittel, mit denen sie ihre Fragen stellt und ihre Lösungen formuliert, erscheinen nicht mehr als passive Abbilder eines gegebenen Seins, sondern als selbstgeschaffene intellektuelle Symbole.“ (1923, I, 5)
4. Formelzeichen, abstraktes Einzelzeichen in formalen Beschreibungssprachen (ein Gebrauch, gegen den im 18. Jh. I. Kant noch protestiert hatte, weil er „der intuitiven Vorstellungsart entgegengesetzt“ sei; KRV § 59; vgl. auch Kurz 1982, 67f.), z.B. die Funktoren (→ Funktor) in der formalen Logik oder die „Abbreviatoren“ (runde. eckige und geschweifte Klammern), „Kategorial-“ (NP, VP), „Grenz-“ (#), „Ersetzungs-“ (Pfeil, Doppelpfeil) sowie „komplexen Symbole“ (in eckigen Klammern eingeschlossene semantosyntaktische Merkmale) in der TG (→ generative Transformationsgrammatik). In diesem Sinne heißt die mathematische Logik auch die symbolische (vgl. z.B. R. Carnap 1954). – Die Vielzahl und Vielfalt der historischer Definitionen des Begriffs hat zu der Konfusion geführt, dass der Ausdruck S. „ein arbiträres, konventionelles, aber auch das Gegenteil, ein durch Analogie oder durch einen Sachzusammenhang motiviertes Zeichen bedeuten“ kann (Kurz 1982, 66) und daher niemals erläuterungslos verwendet werden sollte.
Lit.: Burkhardt, A., Geballte Zeichen. Das Symbol und seine Deutungen. In: Zeitschrift für Semiotik 18/4.1996, 461-482. Carnap, R., Einführung in die symbolische Logik. 1954. Cassirer, E., Philosophie der symbolischen Formen. Bd. 1-3. 1923. Ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. 1956. Eco, U., Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte.162000. Ders., Semiotik und Philosophie der Sprache. 1985. Goethe, J.W. von, Werke. Hamburger Ausgabe Bd. XII. 71973. Hegel, G.W.F., Vorlesungen über Ästhetik I. Theorie-Werkausgabe Bd. 13. 1970, 393ff. Hjelmslev, L., Omkring sprogteoriens grundlæggelse. 1943. dt. Prolegomena zu einer Sprachtheorie. 1974. Kurz, G., Metapher, Allegorie, Symbol. 1982. Lyons, J., Semantics. 2 Bde. 1977. dt. Semantik. 1980. Morris, Ch.W., Signs, Language and Behavior. 1946. dt. Zeichen, Sprache und Verhalten. 1973. Ogden, G.K./Richards, I.A., The Meaning of Meaning. A Study of the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism. 1923. Peirce, Ch.S., Collected Papers. 1931-1958. Ders., Schriften I und II. 1967-1970. Ders., Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus. 1976. Ders., Phänomen, Logik und Zeichen. 1983. Saussure, F. de, Cours de linguistique générale. 31968; http://www.clg2016.org/fileadmin/user_upload/ferdinand_de_saussure_cours_de_linguistique_generale.pdf. dt. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. 32001. Ders., Cours de linguistique générale. Zweisprachige Ausgabe französisch-deutsch, mit einer Einleitung, Anmerkungen und Kommentar. Hrsg. von P. Wunderli. 2013. Schaff, A., Einführung in die Semantik. 1960. Todorov, T., Symboltheorien. 1995 (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 54). AB