Textkohärenz
[engl. text coherence, frz. cohérence textuelle/du texte, russ.когерентность текста] (lat. cohaerentia ‘Zusammenhang’)
Der innere logisch-semantische, wissensbasierte Zusammenhang eines Textes (→ Text). Die Gesamtheit aller Funktionen, „durch die die Komponenten der Textwelt, d.h. die Konstellation von Konzepten (Begriffen) und Relationen (Beziehungen), welche dem Oberflächentext zugrunde liegen, für einander gegenseitig zugänglich und relevant sind“ (de Beaugrande/Dressler, 1981, 5). Bei der T. geht es also um die → Tiefenstruktur des Textes, die inhaltlichen Zusammenhänge einzelner semantisch-kognitiver Aspekte wie Kausalitäts-, Referenz- und Zeitbeziehungen (z.B. durch Narrationsrelation, wenn das im zweiten Satz geschilderte Ereignis später stattgefunden hat als das im ersten Satz Geschilderte „Max stand auf. Paula begrüßte ihn“, oder auch durch Resultate, d.h. Beschreibung eines Zustands, der durch ein zuvor beschriebenes Ereignis herbeigeführt wurde „Max schaltete das Licht aus. Der Raum war dunkel“). T. baut auf der Sinnkontinuität der zugrunde liegenden Textwelt auf, die sich wiederum aus den angeführten Konzepten und Relationen zusammensetzt. Unter Konzepten verstehen de Beaugrande und Dressler Wissenseinheiten, die auf Wahrnehmung und Erfahrung beruhen. Diese Konzepte setzen sich aus Merkmalen zusammen, die im Moment der Aktivierung durch die Textrezeption als ein Netzwerk auftreten. Die den Konzepten zugrunde liegenden Beziehungen werden Relationen genannt. Demnach wird T. durch die kognitiven Prozesse der Interaktion zwischen der Textwelt und dem Sprach- und Weltwissen des Rezipienten, also durch die Sinngebung, hergestellt. Kohärenzbildung ist nicht nur bei kohäsiven Texten (→ Kohäsion → Textkohäsion) möglich, sondern auch bei nicht-kohäsiven Texten wie z.B. Anakoluthen (→ Anakoluth) und Ellipsen (→ Ellipse). T. kann dabei durch explizite Kohäsion von Texten angeregt werden, andern aber auch durch semantisch-logische Beziehungen wie bspw. Gegensatz und Inklusion, durch raum-zeitliche → Kontiguität, kausale Zusammenhänge und thematische Informationen. Da T. als Ergebnis von Bedeutungsaktualisierungen verstanden werden kann, bei denen der Hörer/Leser den notwendigen Zusammenhang konstruiert, kann der Sinn bei nicht-kohäsiven Texten durch die Konstruktion eines eigenen Referenzrahmens aufgrund kognitiver Schemata hergestellt werden, die der Rezipient durch Erfahrung erworben hat. Dies zeigt, dass die sprachliche Kompetenz nur eine Bedingung für die Konstruktion von Kohärenz und Verstehen ist. De Beaugrande und Dressler führen als Beispiel das Verkehrsschild mit der Aufschrift „Langsam spielende Kinder“ an und verdeutlichen daran, dass der Sprachbenutzer in einer konkreten Situation so viele Relationen beisteuern kann, wie benötigt werden, um den vorliegenden Text sinnvoll zu machen, auch wenn die Relationen zwischen den einzelnen Satzgliedern durch die Ausdrücke an der Oberfläche nicht aktiviert werden. „Langsam“ könnte unabhängig von der Situation einerseits als Bemerkung über ‚träge Kinder‘ interpretiert werden, die beim Spielen langsam sind. Andererseits kann „langsam“ im Zusammenhang mit dem Verkehrsschild als Aufforderung an den Autofahrer verstanden werden, die Geschwindigkeit zu reduzieren, um die spielenden Kinder nicht zu gefährden. „Langsam“ wird somit aufgrund des Weltwissens des Rezipienten als Quantität der Bewegung, die der Textrezipient mit Blick auf das Auto annehmen soll, verstanden, da dies in dem Zusammenhang mehr Sinn ergibt, als „langsam“ als Eigenschaft des Spiels der Kinder zu verstehen (de Beaugrande/Dressler 1981, 4f.). Im Text angelegt wird die T. durch die formulierende und konzipierende Tätigkeit des Textproduzenten; eigentlich erzeugt wird sie jedoch jedes Mal neu durch die verstehend-interpretierende Leistung des Textrezipienten, der stets versuchen wird, selbst unzusammenhängend Scheinendes im Sinne in sich kohärenter Information zu rekonstruieren.
→ Textlinguistik, → Wiederaufnahme, → Textdeixis
Lit. Brinker, K./Cölfen, H./Pappert, St., Linguistische Textanalyse, Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 2014. Beaugrande, R.-A. de/Dressler, W.U., Einführung in die Textlinguistik. 1981. Linke, A./Nussbaumer, M./Portmann, P.R., Studienbuch Linguistik. 2004. Rickeit, G./Schade, U., Kohärenz und Kohäsion. In: Brinker, K./Antos, G./Heinemann, W./Sager, S.F. (Hrsg.), Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd. 2000, 275-283.ABR