Hochdeutsche Lautverschiebung
Auch: Althochdeutsche Lautverschiebung, Zweite Lautverschiebung. Um die Mitte des 1. Jtsd.s n. Chr. vollzieht sich in denjenigen germ. Stammessprachen, aus denen die hd. Dialekte hervorgegangen sind (d.h. im Alemannischen, Bairischen und im größeren Teil des Fränkischen), sowie ansatzweise auch im später untergegangenen Langobardischen ein Umbau des Systems der Konsonantenphoneme, aufgrund dessen sich das (Hoch-)Dt. bis heute von allen anderen germ. Sprachen abhebt. Betroffen sind von diesem Konsonantenwandel (der „H.L.“) die Reihe der germ. stimmlosen Okklusive (p, t, k) und die der germ. stimmhaften Okklusive (b, d, g). – In der folgenden tabellarischen Darstellung erscheinen als Repräsentanten des germ. Zustands keine rekonstruierten germ. Wortformen, sondern Beispielwörter aus heutigen „unverschoben gebliebenen“ germ. Sprachen und anstelle von ahd. Beispielen solche aus dem Nhd.
(1a) Die germ. stl. Okklusive [p, t, k] werden zu den ahd. Affricatae [pf, ts, k χ] (lat. affricare ‚anreiben’), wenn sie im Anlaut oder aber nach Konsonant im In- und Auslaut stehen.
germ. p | nd. Pütt * ‘Schacht’ | : | hd. pf | hd. Pfütze |
germ. t | engl. two | : | hd. ts <z> | hd. zwei, zwo |
(germ. k | engl. can | : | hd. kχ | schweizerdt. kchann)** |
* Vermutl. Lehnwort aus lat. puteus ‘Brunnen’, vgl. frz. puits ‘Brunnen’.
** k > k χ nur im Hochalemannischen (vor allem: Schweiz) und Südbairischen (Alpenbairisch: Tirol, Kärnten, Steiermark)
(1b) Die germ. stl. Okklusive [p, t, k] werden im In- und Auslaut nach Vokalen zu den ahd. Frikativen <ff, zz, hh> (etwa: [ff, ss, χχ]). Diese Geminaten sind schon seit ahd. Zeit vielfach zu <f, s/ß, ch> vereinfacht worden.
germ. p | nd. open, slapen | : | hd. ff, f | hd. offen, schlafen |
germ. t | engl. let, what | : | hd. ss, s | hd. lassen, was |
germ. k | engl. make | : | hd. ch | hd. machen |
(2) Aus der Reihe der germ. sth. Okklusive b, d, g (< germ. b, d, g) wird nur der Dental d im gesamten hd. Gebiet zu t verschoben. Somit entsprechen einander engl. do, nd. don und hd. tun, schwed., dän, nd. del ‘Teil’ und dt. Teil. In den obd. Dialekten des frühen Ahd. waren auch b und g von dieser Verschiebung betroffen, daher z.B. abair. këpan, altalem. këban ‘geben’. Gegen Ende der ahd. Epoche passen sich in diesem Punkt auch das Bair. und das Alem. den ostfränk. Verhältnissen (gëban) an, die in dieser Hinsicht dem Konsonantismus des heutigen Hd. (geben) entsprechen.
In Parallele zur H.L. wird aus der Reihe der germ. stl. Frikative (f, þ, χ) der Dental ([þ], geschrieben meist <th>) im Hd. zu einem d verschoben. Es entsprechen einander also engl. thou, this, thin und hd. du, dies, dünn. An dieser Veränderung nehmen allerdings auch das Nd., Ndl., Fries. und, im Ergebnis zwischen d und t variierend, auch die festlandsnord. Sprachen teil. Der altgerm. Frikativ [þ] ist somit nur im Engl. (this) und Isl. (þessi ‘dieser’) bewahrt.
Die H.L. wird komplett also nur im äußersten Süden des dt. Sprachgebiets (Alpenbairisch, Hochalemannisch: kchnopf ) vollzogen. In früh-ahd. Zeit besaßen das Bairische (këpan) und das Alemannische (këban) einen höheren Komplettheitsgrad, als es heute (geben) der Fall ist. Entlang des Rheins ist die Verschiebung, von S nach N betrachtet, stufenweise „verebbt“. Am Wechsel p > pf nehmen bereits die Pfalz (Pälzer Wald) und fast ganz Hessen (Äppelwoi) nicht mehr teil. In Köln gilt zwar k > h, sch, χ (kölnisch jemaht ‘gemacht’, isch mach ‘ich mache’), aber nicht grundsätzlich gilt -t > -s (dat, wat, jedoch heiß, weiß). Während im Westen des dt. Sprachgebiets die Einzelresultate der H.L. also in abgestufter Form auftreten (→ Rheinischer Fächer), sind sie weiter östlich zu einer recht deutlichen Grenze gebündelt, die etwa am Südrand Westfalens beginnt und bis zur Ostgrenze des Dt. verläuft und die den nördlichen, hd. Teil Deutschlands von seinem südlichen, nd. Teil trennt (→ Benrather Linie). Östlich ungefähr der Grenze Hessens zu Thüringen ist hd. pf- (Pfund) durch f- (Fund) repräsentiert. Da beim frühneuzeitlichen Sprachenwechsel Norddeutschlands vom Nd. zum Hd. das omd. Fnhd. („Meißnisch“) bestimmend war, ist das omd. Anlaut-f heute umgangssprachlich in ganz Norddeutschland üblich (Ferd ‘Pferd’, Fennich ‘Pfennig’, Fluch ‘Pflug, Flug, Fluch’).
Insgesamt gesehen, drängt sich im Sinne der → Wellentheorie das Bild eines in den Alpenländern begonnenen und von dort nach Norden ausstrahlenden Umbaus des Konsonantensystems auf, der nur im äußersten Süden des dt. Sprachgebiets vollständig durchgeführt worden ist, im Bair. und Alem. bereits Lücken aufweist, in den fränk. Mundarten entlang des Rheins dann stärker, und zwar stufenweise an Vollständigkeit einbüßt, bis er an der Benrather Linie ganz zum Stehen kommt, die dadurch die Grenze zum Nd. bildet. Mit diesem nach wie vor als communis opinio geltenden Konzept einer räumlich monogenetischen Erklärung der H.L. konkurrieren seit einiger Zeit Entwürfe, die auf der Basis wmd. Belegmaterials dafür plädieren, dass mit einer polygenetischen Entstehung der Lautverschiebung zu rechnen sei. Solche Gegenentwürfe sind bislang Einzelmeinungen geblieben; eine endgültige Klärung steht aus.
Lit.: Braune, W., Althochdeutsche Grammatik I. 15. Aufl. bearb. von Ingo Reiffenstein. 2004. Penzl, H., Die Phasen der ahd. Lautverschiebung. In: Fs. für Taylor Starck. 1964. Sonderegger, St., Ahd. Sprache und Literatur. 1974, 156-167. Venema, J., Zum Stand der zweiten Lautverschiebung im Rheinland. 1997. HB