Binarismus
In verschiedenen Wissenschaften verwendetes Beschreibungsverfahren, das auf binärer Analyse (→ binäre Analyse) beruht und davon ausgeht, dass jeder Sachverhalt durch eine endliche Menge von binären Entscheidungen (ja/nein) darstellbar ist. In der Linguistik vor allem die von Roman Jakobson und seiner Schule vertretene Hypothese, dass Binarität der konstitutive Grundzug sprachlicher Einheiten und somit die adäquate methodologische Grundlage zu deren Untersuchung und Beschreibung ist. Dieses Verfahren wurde von Jakobson und Halle (1956) speziell für die → Phonologie verwendet, indem sie versuchten, jedes Phonem mit Hilfe von distinktiven Merkmalen (→ distinktives Merkmal) zu segmentieren (z.B. +stimmhaft/-stimmhaft). In der Phonologie hat dieses Vorgehen eine entscheidende methodologische und theoretische Bedeutung, wie Jakobson beispielsweise bei der Erklärung von → Aphasie und → Spracherwerb nachwies. Es wurde auch versucht, das Prinzip des B. auf Morphologie, Syntax und Semantik zu übertragen, was wiederholt zu Skepsis und Kritik führte (vgl. Heringer 1970, 64 ff., Henrici 1975).
Lit.: Halle, M., In defence of the number two. In: Studies presented to J. Whatmough. 1957. Ders., On the role of simplicity in syntactic descriptions. In: Proceedings of Symposia on Applied Mathematics. Vol. XII. 1961, 89–94. Heringer, J., Theorie der deutschen Syntax. 1970. Jakobson, R./Halle, M., Fundamentals of Language. 1956. Martinet, A., Structural linguistics. In: Anthropology today. 1953, 574-586. Henrici, G., Die Binarismusproblematik in der neueren Linguistik. 1975. MW