Rotwelsch
- I.w.S. allgemeine Bezeichnung für die deutsche Gaunersprache bis in die Gegenwart hinein verwendet (vgl. Girtler 1998).
- I.e.S. Bezeichnung der → Sondersprache der Vaganten (Fahrenden) im deutschen Sprachraum des Mittelalters, zu denen vor allem Diebe, Gauner und Bettler, aber auch Gewerbetreibende wie Bader, Spielleute, Gaukler und Kesselflicker sowie verbummelte Studenten, stellungslose Gelehrte und Kleriker gehörten, seit dem 13. Jh. belegt. R. stellt wie jeder → Argot keine voll ausgebildete Sprache dar, sondern verfügt nur über einen Wortschatz für bestimmte Sachbereiche wie Verbrechen, Gericht, Gefängnis, Polizei, Essen und Trinken, Prostituierte und Geld. Neben deutschen Wörtern und Wendungen sind im R. vor allem Elemente aus dem Jiddischen (→ Jiddisch) und über das Jiddische vermittelt aus dem Hebräischen enthalten (z.B. Schmierestehen von hebr. schemirah ‘Wache’, Kies ‘Geld’ von hebr. kis ‘Geldbeutel, Geld’). Weiterhin gelangten lateinische und französische Lehn- und Fremdwörter und Elemente der → Zigeunersprache (diese aber in vergleichsweise geringem Umfang) in das R. Das R. ist durch archaische Ausdrücke, Adaptionen mundartlicher Formen, den Hang zur häufigen Bildung von Metaphern, Metonymen, Personifikationen, Euphemismen, Synonymen u.a. und durch spezifische Wortbildungs- und Flexionsmuster (z. B. Griffling ‘Hand’, Lauschling ‘Ohr’, Scheinling ‘Auge’)gekennzeichnet. Einige Wörter und Wendungen sind rasch in die → Umgangssprache übernommen worden.
Nonverbale Verständigungsmittel des R. stellen die Zinken (z.B. = ‘hier wohnen leichtgläubige Frauen’) dar, deren älteste Belege aus dem 16. Jh. stammen und in einigen Gegenden des dt. Sprachraumes auch in der Gegenwart noch zu finden sein sollen (vgl. Girtler 1998, 208ff.).
Die umfangreichste R.quelle für die beginnende Neuzeit ist der 1510 erstmals erschienene Liber vagatorum, in dem vor allem verschiedene Arten betrügerischer Bettlereien zur Warnung dargestellt werden, und der besonders in der Ausgabe von Martin Luther (1528) Verbreitung fand (eine ausführliche Auflistung weiterer R.quellen und -wörterbücher bei Wolf 1993, 15ff.). Die sprachwissenschaftliche Erforschung des R. begann 1829 durch Hoffmann von Fallersleben. Nach vorwiegend etymologischen Arbeiten zum R. (vgl. vor allem Kluge 1901, der 155 Titel rotwelscher Quellen und Sammlungen aufzeigt und Wörterverzeichnisse anführt) begründete Spangenberg 1970 eine soziolinguistisch orientierte Richtung mit der Aufarbeitung von Originalaufzeichnungen von 1850 (zur Geschichte der R.-Forschung vgl. Jütte 1988, 21ff.).
R. stellt eine Fremdbezeichnung dar, während andere Benennungen assoziierter Sondersprachen wie z.B. des Jenischen, heute noch als Sonderwortschatz der Schausteller in einigen deutschen, besonders süddeutschen, Sprachregionen verwendet, Eigenbezeichnungen sind.
Lit.: Efing, Chr., Jenisch unter Schaustellern. Mit einem Glossar aus schriftlichen Quellen. 2004. Online verfügbar: http://www.germanistik.uni-wuppertal.de/fileadmin/germanistik/Personal/Efing/Efing_SchaustellerJenisch.pdf. Girtler, R., Rotwelsch. Die alte Sprache der Gauner, Dirnen und Vagabunden. 1998. Jütte, R., Abbild und soziale Wirklichkeit des Bettler- und Gaunertums zu Beginn der Neuzeit. 1988. Hoffmann von Fallersleben, A.H., Ältestes Rotwelsch in Deutschland. In: Monatsschrift von und für Schlesien. 1.1829, 55-68. Kluge, F., Rotwelsch. Quellen und Wortschatz der Gaunersprache und der verwandten Geheimsprachen. 1901 (letzte Aufl. 1987). Möhn, D., Sondersprachen. In: Althaus, H.P./Henne, H./ Wiegand, H.E., Lexikon der Germanistischen Linguistik. 1980, 384-390. Möhn, D., Sondersprachen in historischer Entwicklung. In: Besch, W./Betten, A./Reichmann, O./Sonderegger, S. (Hrsg.), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung, 3. Teilbd. 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl., 2003, 2391-2402. Spangenberg, K., Baumhauers Stromergespräche in Rotwelsch. Mit soziologischen und sprachlichen Erläuterungen. 1970. Wolf, S.A., Deutsche Gaunersprache. Wörterbuch des Rotwelschen. 1993. SL